presse (auswahl)
Käthe Wenzel: Aufgehübschte Lebensläufe und Selbstoptimierung auf Knopfdruck
Der Standard, ALBUM, 20. November 2021
Käthe Wenzel: Ausreden aus der Maschine
Science ORF, 18. Oktober 2021
Swarms, Robots, and Postnature: Kaethe Wenzel: Artist's Talk
Art Laboratory Berlin, May 20, 2021
A look into the shadows of Olympic spirit: Gangwon biennale explores the darker elements of humanity
Korea Joong Ang Daily, 6. Februar 2018
Traumstadt Hildesheim
17-teilige Serie über die Zukunft von Hildesheim, März-Juli 2015
Bionik und Biobots. Mechanisches Leben
Frank Kaspar, DeutschlandRadioKultur, 8.1.2015
Berlin, mit Herz gemalt.
Liebevolle Kiez-Comics von Käthe Wenzel
und Juliane Pieper zeigt die Galerie kurt im hirsch
In: B.Z., 03.07. 2013 - von Hans Marquardt
Bilder
von Morgen. Open-Air-Ausstellung in der Ladestraße
In: Zeitung der Stiftung Deutsches Technikmuseum
Berlin 2013. S. 38-39.
Technik
zum Anfassen: Das Technikmuseum wird 30 Jahre alt
In: Berliner Zeitung, 06.03. 2013
Nicht alles
für alle, aber für jeden etwas.
Die Zukunft des Technikmuseums
In: Standbein, Spielbein. Museumspädagogik aktuell. 04/2013- von
Iris Kühnberger, S.15-22.
Mit
der Gondel durch die Ausstellung
Comics für die Zukunft des Technikmuseums
In: Tagesspiegel, 20.03. 2013
Ästhetik
der Blöße
Urike Burgwinkel: DeutschlandRadio, 14. 06. 2012, 14:20.
Zeichnen
als Forschung
Frank Kaspar in: Forschung und Gesellschaft.
DeutschlandRadio Kultur, 17. 11. 2011, 19:30 Uhr.
Neue
Kunst in den Neuen Kammern. Bildstörung in preußischem Ambiente.
von Matthias Reichelt in: Kunstforum
international Bd.193/Sept.2008, S. 293-94.
Jellibelly-Bauchpinselmaschine
- ein Service-Projekt
Käthe
Wenzel in: Jellibelly-Bauchpinselmaschinen-Service. Berlin 2008
Herumschleimen
auf Knopfdruck
Jens
P. Rosbach in: Campus und Karriere, Deutschlandfunk, 20.06.2008
André
Hagel: Wenn der Pinsel pinseln will...
in:
mittendrin, Oktober 2007
The
Bio-Blurb-Show.
Interview mit Suzanne Anker auf wps1, dem Sender des PS 1 Museum,
New York. 27. Februar 2006.
Missing
Link. Zwischen Kunst und Wissenschaft.
Susanne Nessler in
Deutschlandradio Kultur, 28. 07. 2005, 15:10.
Missing Link. Wie schön
sehen 182 Tage einer Labormaus aus?
In: berlin art info Nr.43 7/2005. S.26-27.
Täuschend
lebensecht.
Ingeborg Ruthe in: Berliner Zeitung, 18. Juni
2002. S.11
Ullrich, Jessica
(Hg.): Wächserne Identitäten.
Figürliche Wachsplastik am Ende des 20.
Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung im Kolbe-Museum.
Berlin 2002. S. 62-63.
Brandt,
Marieke: Absolut
tragbar.
Eröffnungsrede der Ausstellung "Survival-Kits für das 21.
Jahrhunderts"
in der Galerie Kurt Deichsel. Berlin 2000.
Snippets
Berliner Zeitung, 06.03. 2013
Technik zum Anfassen: Technikmuseum wird 30 Jahre alt
Ein Flugzeug auf dem eigenen Dach haben eigentlich nur Präsidenten oder Multimillionäre - und das Deutsche Technikmuseum. Seit 30 Jahren zeigt es nicht nur Ausstellungen rund um die Themen Verkehr und Mobilität, sondern auch zu Film -und Gomputertechnik. sowie zu Chemie und Pharmazie. Um seinem Ruf als eines des weltweit führenden Museen seiner Art gerecht zu werden, hat man sich auch für das Jubiläumsjahr einiges einfallen lassen. Zur Zeit findet die erste große Ausstellung "Orenstein & Loewe - 20 deutsch-jüdische Ingenieure, Erfinder und Fotografen. 1933-1945" im Rahmen des Berliner Themenjahres "Zerstörte Vielfalt" statt. Als "Objekt des Monats" werden im Jubiläumsjahr wechselnd Exonate von 1983 zu sehen sein. lm März sind es zwei Baukästen und eine Grubenlampe, die der damalige Direktor bei einem Flohmarktbesuch erworben hatte.
"Bilder von morgen" gibt es ab dem 19. März in einer Open-Air-Präsentation: Künstlerin Käthe Wenzel hat Besucher gefragt, wie sie sich das Museum der Zukunft vorstellen, und die Antworten in comicartigen Zeichnungen interpretiert. Im Sommer geht es dann richtig los: Am 9. August soll das Science Center Spectrum interaktiver als zuvor wiedereröffnen, mit vielen neuen Möglichkeiten zum Experimentieren und Forschen. Am 25. August steigt dann das Sommerfest für die ganze Familie - bei freiem Eintritt.
Valerie Schönian in: Der Tagesspiegel, 20.03. 2013
Mit der Gondel durch die Ausstellung
Man versetze sich zumindest gedanklich in eine Zeit vor dem Winter. Wie wäre es an einem heiß-trägen Augusttag, ein Museum in der Stadt zu haben, dessen Straßen komplett geflutet sind: Die Besucher schippem auf Gondeln von Ausstellung zu Ausstellung, das Wasser immer unter den Füßen. Wenn es nach zwei Berlinerinnen Anfang 40 ginge, sollte so das Museum der Zukunft aussehen.
Die Künstlerin Käthe Wenzel hat die beiden Frauen im vergangenen August nach ihren Versionen für die kulturellen Stätten gefragt - und mehr als fünfzig weitere Stadtbewohner. Die Antworten hat sie in Form von Cartoons festgehalten. 24 davon sind seit Dienstag und bis zum Ende des Iabres in der Ausstellung "Bilder von morgen" auf dem Freigelände des Deutschen Technikmuseums (DTM) zu sehen: Dabei sind ein rollstuhlgerechtes James- Bond-Flugzeug, ein Flugsimulator und ein SwiImmingpool auf dem Dach.
Es habe aber auch bescheidenere Wünsche gegeben, sagt die Künstlerin, wie beispielsweise Toiletten oder Sitzplätze in ständiger Reichweite. Anlass für das Projekt ist der geplante Anbau "Technoversum" des DTM. Die Bilder sollen einen besonderen Blick darauf schaffen, sagt Iris Kühnberger, Bildungsleiterin des Museums. Ob dort irgendwann mal Gondeln fahren sei abzuwarten, aber: "Die Toiletten kommen auf jeden Fall."
Käthe Wenzel in: Jellibelly-Bauchpinselmaschinen-Service. Berlin 2008
Jellibelly-Bauchpinselmaschine - ein Service-Projekt
Jellibelly-Bauchpinsel-Service
Heute schon gebauchpinselt? Die Jellibelly-Bauchpinselmaschine
hilft bei der Erzeugung von Wohlbefinden und der Erhöhung des
Selbstwertgefühls. Beliebte Einsatzgebiete sind Jobsuche, Auftragsbeschaffung,
Kundenpflege und Mitarbeitermotivation. Bisher wird meist in individueller
Kleinarbeit gebauchpinselt: Die Jellibelly-Bauchpinselmaschine
garantiert zum ersten Mal eine gleichbleibend hohe Qualität. Lassen
Sie sich pinseln oder pinseln Sie selbst - für Personen in Macht-
und Leistungspositionen ist der Bauchpinsel-Service ebenso unverzichtbar
wie für Menschen in prekärer Beschäftigung.
Die Bauchpinselmaschine ist ein Gerät, das eine täglich in allen Lebensbereichen angewendete Kulturtechnik mechanisiert und auf Abruf verfügbar macht. Außerdem ist sie der Versuch, das Konzept der Servicegesellschaft zu Ende zu denken, ein Grundmotiv von Serviceleistungen zu erkunden, einen Ur-Service zu erfinden, um ihn auf und über die Spitze zu treiben. Was Marketing-Fachleute, die inzwischen oft unter ähnlich prekären Bedingungen arbeiten wie wir als Künstlerinnen, täglich in aller Ernsthaftigkeit betreiben, das wollen wir auch, nur lauter, schriller, und so offensichtlich wie möglich. Eine unsichtbare Form der Kommunikation wird sichtbar, und damit diskutierbar: Wer bedient wen, und zu welchem Zweck? Wer pinselt wessen Bauch, und wer hat etwas davon? Wird in Hierarchien nach oben oder nach unten gepinselt, oder in alle Richtungen gleicherweise? Führt die Krise und Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zu mehr oder anderen Formen des Bauchpinselns?
Die Jellibelly- Bauchpinselmaschine besteht aus einem elektrisch betriebenen Schwenk-Arm mit austauschbaren Pinseln. Die praktische "Handtaschenversion" wird von einem Team von zwei bis drei Servicekräften in Jellibelly-T-Shirts bedient, bezahlt auf 1-Euro-Basis. Die fest installierte Standversion dagegen wird durch den Einwurf einer 1-Euro-Münze aktiviert und erlaubt die Einsparung des Teams. Dazu gehört eine zeitgleiche Videoprojektion des gepinselten Bauches auf die nächste Wand und die Einsicht in die während des Projekts entstandenen Statistiken, Briefwechsel und Akten.
Befragung
In der ersten Testphase mit Befragungen von Passantinnen und Passanten
in Berlin und im Münsterland ging es zunächst um Aussehen und
Beschaffenheit der Bauchpinselmaschine: Was müsste eine Bauchpinselmaschine
für Sie leisten? Welche Farbe würden Sie bevorzugen, rot, beige,
grün, pink, blau (bitte ankreuzen)?
Wie sollte der Pinsel beschaffen sein, klein, mittel, groß? Sanft,
weich, oder hart?
Welche Optik ist für Sie am ansprechendsten, rustikal, modern,
futuristisch, ergonomisch?
Diskussionen entzündeten sich bereits an der Frage, ob der Begriff
des "Bauchpinselns" positiv oder negativ besetzt sei. Vielen jüngeren
Befragten (unter 25) war der Ausdruck nicht geläufig, und Befragte,
deren Muttersprache nicht deutsch ist, fanden ihn schwer zu übersetzen.
Dem ambivalenten deutschen Begriff am nächsten kam vielleicht
das slowenische "jem. auf die Seele pusten", aber auch das türkische
"jem. Die Augen schminken" wurde mehrfach vorgeschlagen.
Mehr als ein Drittel der Befragten ließ sich bereitwillig bauchpinseln, pinselte sich untereinander oder das Team. Die entscheidenden Fragen: Wie und wo wurden Sie zuletzt gebauchpinselt? Wo konnten Sie erfolgreich bauchpinseln? wurden zunächst gern privat beantwortet, als würde das intime Bauchpinseln im Privaten als angebracht, am Arbeitsplatz aber als unpassend empfunden. Die unterschwellige erotische Dimension der Bauchpinselmaschine, die auch die Form des Standmodells beeinflusst hat, wurde grundsätzlich wahrgenommen und mehr oder weniger offen kommentiert, von "Olalá" bis zu anzüglichen Witzen. Eine Journalistin brachte die spezielle Kombination aus Wellness-Service und Hierarchie-Forschung in der Frage auf den Punkt: "Wo beginnt die Prostitution?"
Bauchpinseln am Arbeitsplatz
Nach und nach gab es klarere Äußerungen zum Bauchpinseln in Arbeitsbeziehungen.
Dabei wurde vor allem das Bauchpinseln zur MitarbeiterInnenmotivation
thematisiert, also in seiner Form als Lob und Ermutigung, aber
auch als Methode, mit der Vorgesetzte ihre MitarbeiterInnen zu
Überstunden oder zur Übernahme ungeliebter Aufgaben zu bewegen
suchen. Auf die Frage, ob die Befragten ihrerseits KundInnen,
AuftraggeberInnen oder Vorgesetzte bauchpinselten, um Aufträge
oder Vergünstigungen zu erhalten, variierten die Antworten von
"nein, so etwas mache ich nicht," (mehrfach im Münsterland) über
"ich mache lieber einen praktischen Vorschlag" (Bern) bis hin
zu "natürlich, wir machen das doch alle die ganze Zeit!" (mehrfach
sinnngemäß in Bern und Berlin) und "Ich war auch Bauchpinsler!"
(Hörstel, Münsterland).
Inwiefern die Umstrukturierungen am Arbeitsmarkt die Einstellung zum Bauchpinseln oder seine Häufigkeit und Dringlichkeit verändert haben, lässt sich vielleicht weniger aus den direkten Äußerungen, als aus der Beobachtung der befragten Personengruppen ablesen. Während im Kreis Steinfurt, dem es wirtschaftlich verhältnismäßig gutgeht, vor allem Befragte über 45 das Bauchpinseln tendenziell als Manipulationsversuch empfanden, schienen BerlinerInnen zwischen 25 und 35, die offensichtlich freien künstlerisch-wissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, bauchpinselnde Kontaktarbeit als selbstverständlich zu betrachten. Inwieweit dies mit unterschiedlicher finanzieller Absicherung, prekären Lebenssituationen oder freiberuflichen Arbeitsstrukturen zu tun hat, lässt sich schwer entflechten.
Die präziseste Analyse eines Bauchpinselvorgangs lieferte interessanterweise ein Lokalpolitiker, der den Prozess in mehrere Stadien aufteilte, nämlich 1. in eine lobende Einleitung, 2. einen Vorschlag oder eine Bitte und 3. das Versprechen, dass der oder die Gepinselte bei Erfüllung der Bitte noch mehr Lob oder Erfolg ernten werde. Leider fanden es viele Befragte unmöglich, ihre eigenen Bauchpinselerfahrungen so genau zu schildern. Das mag damit zu tun haben, dass die Methode anscheinend dann am meisten Erfolg hat, wenn sie unbemerkt angewendet wird: "Man merkt die Absicht und ist verstimmt," beziehungsweise "Wenn man es merkt, funktioniert es nicht," waren häufige Äußerungen. Dementsprechend wurden die Handtaschenmodelle gelegentlich für Motoren- und Klappergeräusch kritisiert, stießen andererseits aber auch oft auf Begeisterung. Insbesondere der weiche Pinsel und der beim Pinseln erzeugte Luftzug wurden als angenehm empfunden.
Regionale Unterschiede
Interessant waren die unerwarteten regionalen Unterschiede: Während
im Münsterland häufig zwischen "ehrlich gemeintem" und "unehrlichem"
Bauchpinseln unterschieden wurde, was ein besonderes Westfälisches
Konzept von "Aufrichtigkeit" zu implizieren scheint, lehnten viele
der Berliner Befragten die Idee von "ehrlich" oder "unehrlich"
rundweg ab und vertraten ein kontextbezogenes Bauchpinselmodell.
Zwei Befragungen in Bern zeigten eine große Aufgeschlossenheit
und eine grundsätzlich positive Einschätzung von "Buchpinsele",
das nach Meinung vieler Befragter zur allgemeinen guten Atmosphäre
beiträgt.
Bauchpinseln als Provokation zur Meinungsäußerung
Die Jelllibelly-Bauchpinselmaschine
mit ihrer Tendenz zur übergriffigen körperlichen Annäherung, ihrem
hochgesteckten Anspruch, durch eine mechanische Handreichung in
menschliche Beziehungen eingreifen zu können, und ihrer konsequenten
Vermischung von konkreten und bildlichen Kommunikationsebenen,
hat unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen. Auf der Straße
angesprochen und zum Mitmachen aufgefordert, haben die Befragten
die Einladung auf unterschiedlichste Art aufgegriffen. Als Einleitung
zum Gespräch hat sich die Maschine dabei auf jeden Fall bewährt.
Sie dient dazu, GesprächspartnerInnen und Gesprächspartner dazu
zu provozieren, nicht die Hosen herunterzulassen, aber vielleicht
das Hemd zu heben, und eine Meinung zur politischen Lage und zur
eigenen Arbeitssituation zu äußern. Aus diesen gesammelten Äußerungen
entsteht ein bundesweites Soziogramm zum Thema Arbeit.
Jens P. Rosbach in: Campus und Karriere, Deutschlandfunk, 20.06.2008
Herumschleimen auf
Knopfdruck:
Berliner Künstlerinnen
stellen Bauchpinselmaschine für den Arbeitsplatz vor
Das Bauchpinseln, sprich die ziel- und zweckgerichtete Fabrikation von Komplimenten, ist mancherorts für die Karriere wichtiger als ein Studienabschluss. Wer sich auf die hohe Kunst der Pinselei nicht so gut versteht, findet Unterstützung in der Bauchpinselmaschine des Berliner Künstlerinnen-Duos Jellibelly. Berlin Alexanderplatz, am Fuße des Fernsehturms. Käthe Wenzel holt ein silbernes, nierenförmiges Gerät aus ihrer Tasche. Ein Gerät mit einem Loch, aus dem ein Pinsel ragt. Die 35-Jährige drückt einen Knopf, der Haarstängel vibriert. Wenzel rückt nun mit dem Elektro-Apparat Passanten zu Leibe. Buchstäblich. Deutschland ist ja auf dem Weg in die Servicegesellschaft. Und das ist der ultimative Service: Bauchpinseln.
Glauer: Sind Sie diese Woche schon
gebauchpinselt worden?
Passantin: Nein!
Die Objektkünstlerin klärt die verwunderte Frau auf: Die Kuschel-Installation solle Berufstätige inspirieren, über ihre Erfahrungen mit Komplimenten zu berichten. Passantin Jenny Michawea nickt: Ich kenn mich aus, sagt sie sofort, ich bin n/auml;mlich Personalrätin.
Passantin: Die Kollegen sind überall
unzufrieden, weil die Chefs nicht genug loben. Die lassen nur
ihren Frust ab, weil sie selber gefrustet sind und jeder ist unzufrieden.
Wenzel: Aber dass alle Leute unzufrieden
sind, hat das mit den Einsparungen, mit den Umstrukturierungen
am Arbeitsmarkt zu tun?
Passantin: Ich denke mir, das ist
ein gesellschaftliches Problem, was gerade hier so abgeht. Die
Alten werden rausgedrängt, die will man nicht, man muss - wenn
man alt ist - aber länger arbeiten. Und die Jungen kriegen keine
man alt ist - aber länger arbeiten. Und die Jungen kriegen keine
Arbeit und sind neidisch. Und man wird nicht gelobt von den Chefs,
es gibt keinen Zusammenhalt, eigentlich nicht miteinander - gegeneinander.
Der Pinsel-Vibrator stimuliert die Passanten: Schüler berichten, dass sie bei Lehrern "herumschleimen", um gute Noten zu bekommen. Eine Frau erzählt, sie habe ihrer Tochter aus Spaß geraten, mit ihrem Chef ins Bett zu gehen - das fördere die Karriere. Auch Maschinenerfinderin Käthe Wenzel muss manchmal Süßholz raspeln. Die studierte Kunsthistorikerin verdient nämlich ihr Geld mit Dozentenjobs an Hochschulen. Und Unis lassen sich offenbar ebenfalls gerne bauchpinseln.
Wenzel: Ich bewerbe mich um einen Lehrauftrag und dann sage ich denen natürlich, was an ihrer Uni so toll ist, was daran so speziell ist. Meinetwegen, das ist eine Privat-Uni in Deutschland, davon gibt's nicht viele. Und das sind die einzigen, die sich trauen würden, diesen experimentellen Kurs, den ich ihnen anbieten würde, zu machen. Keine staatliche Uni würde das machen. Die sind viel zu verkrustet. Ich brauche ein junges, innovatives Unternehmen wie euch. Und mit euch kann absolut so etwas Modernes, Experimentelles machen.
Die meisten Passanten kommen ins Erzählen, wollen sich aber nicht bepinseln lassen. Einige gehen aber zumindest mit ihren Händen auf Tuchfühlung. Das kitzelt! Künstlerin Wenzel fragt auch bei Politikern an, ob sie über Verbalstreicheleien in ihrem Berufsalltag berichten wollen.
Wenzel: Ein konservativer Bundestagsabgeordneter war neulich ganz irritiert von der haarigen Kunst. Konservativer Abgeordneter, da hat der Referent noch mal angerufen. Und ich hab sehr viel über den kunsttheoretischen Hintergrund erzählt, bis ich verstanden habe, dass die Besorgnis gar nicht darum ging, ob das jetzt künstlerisch fundiert ist oder nicht, sondern es ging darum, ob der Abgeordnete jetzt seinen Bauch entblößen soll oder nicht. Und da habe ich gesagt: Keine Sorge, muss keiner. Kann - muss nicht.
Lisa Glauer ist mit von der Pinsel-Partie. Die ausgebildete Malerin hat zusammen mit Käthe Wenzel den "Jellibelly- Bauchpinselmaschinen-Service" gegründet. Die Aktionskünstlerinnen filmen ihre Begegnungen, laden die Videos bei YouTube hoch und zeigen sie in einer Ausstellung. Für ihr nächstes Karriere-Projekt basteln sie Knöpfe mit angeklebten Haaren. Und zwar spielt es darauf an, dass Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Prinzip nicht männlich genug auftreten, wenn sie um ihr Gehalt verhandeln. Und wir haben uns gedacht, dass wir anhand dieser Haarknöpfe Brusthaare simulieren, so ein bisschen Testosteronausdruck, Männlichkeit.
Wenzel: Also der Vorteil gegenüber natürlich gewachsener Brustbehaarung ist, dass man das dann wieder abnehmen kann.
Das Berliner Künstler-Duo fühlt sich von der zumeist positiven Reaktion der Passanten - natürlich - gebauchpinselt. Auch wenn einige die Streichelmaschine nicht mit Arbeitsplatz, sondern eher mit Schlafzimmer in Verbindung bringen.
Passantin: Das kitzelt! Na ja, dann macht mal weiter mit euerm Sex!
André Hagel in: mittendrin, Oktober 2007
Wenn der Pinsel pinseln will, dann will er pinseln
Wir alle bauchpinseln.
Der Begriff des Bauchpinselns selbst allerdings ist aus der Mode
gekommen Zwei Künstlerinnen wollen Abhilfe schaffen: Sie haben
eine Bauchpinselmaschine entwickelt und in der Region zum Einsatz
gebracht."mittendrin" hat mitgepinselt.
Wenn man etwas erreichen will, muss man etwas dafür tun. das ist
das leistungsprinzip. Wenn man bei jemandem etwas erreichen will,
dann reicht Leistung mitunter nicht aus. Dann muss man demjenigen
den Bauch pinseln. Verbal natürlich nur. Weil man bei tötlich-forschem
Vorgehen in Sachen Bauchpinselei wahrscheinlich genau das Gegenteil
von dem erreichen würde, was man eigentlich im Sinn hatte. Wer
lässt schon gern andere an den Nabel, der zwar nicht der der Welt,
aber immerhin der eigene ist?
Wir alle bauchpinseln. Der eine mehr, der andere seltener. Der
eine zweckfrei, einfach aus Freundlichkeit, der andere höchst
zweckgebunden. Weil ermit dem virtuellen Pinsel sein berufliches
Weiterkommen vorantreiben will, zum Beispiel. Wenn man Käthe Wenzel
und Lisa Glauer glauben will, dann er- und durchleben wir momentan
ein neues zeitalter der allgegenwärtigen Bauchpinselei - ohne
dass allerdings dieser altehrwürdige Begriff noch entsprechend
en vogue würe.
"Immer mehr Menschen sind gezwungen, als Freiberufler zu arbeiten.
Viele sind arbeitslos, suchen einen neuen Job. Arbeitsplätze sind
nicht mehr sicher. Da sind viele Menschen gezwungen, andere bauchzupinseln,"
erklären die beiden Künstlerinnen, die zu den diesjährigen Projektstipendiatinnen
des Kunsthauses Kloster Gravenhorst in Hörstel gehören. Sie wissen,
wovon sie reden: Sowohl Glauer als auch Wenzel arbeiten freiberuflich
in ihrem Metier, müssen immer neue Auftraggeber und damit Einkommensquellen
finden. Weil auch in der Kunst am Ende eben alles am Gelde hängt.
voller Magen studiert nicht gern - aber leerer Magen kann erst
recht nichts shcaffen, was anderen gefällt.
Die 34-jährige Wenzel und ihre vier jahre ältere Künstlerkollegin
Glauer sind nicht beim Lamento stehen geblieben, sondern haben
aus der Not eine Erfindung gemacht. Die steht an einem Fraitagmorgen
Anfang August auf dem Tisch in einem Arbeitsraum des Kunsthauses
Kloster Gravenhorst und surrt munter vor sich hin: eine Bauchpinselmaschine,
die einem tatkräftig die Arbeit des Pinselns im Nabelbereich von
Mitmenschen abnimmt. Auf den ersten Blick erinnert das Gerät an
zwei aufeinandergeklebte Nierenschalen. Seitlich ragt aus dem
Konstrukt ein Pinsel, der rotierend von rechts nach links und
zurück, immer wieder hin und her schwenkt. Der Pinsel ist weich.
Da möchte man doch glatt...
Aber noch ist nicht die Zeit für Experimente am eigenen Körper.
An diesem Tag steht vielmehr eine Dienstbesprechung an. Das Berliner
Künstlerinnen-Duo unterweist zwei Helfer ind er korrekten Handhabung
der Gerätschaft, die in Aktion beim Gegenüber Wohlfühlgefühle
hervorrufen soll. Außerdem gibt es noch eine Menge anderer Dinge
zu klären. Denn Wenzel und Glauer wollen zusammen mit Christine
Oehler und Klaus Steltenkamp, zwei Ein-Euro-Jobbern, und der Bauchpinselmaschine
durch die region reisen, um die gute alte Tradition des Bauchpinselns
auch unter ebendiesem Namen wieder populär zu machen. Tatsächlich,
das werden später ihre Einsätze in der Öffentlichkeit zeigen,
ist der Begriff des Bauchpinselns nahezu aus unserem Sprachgebrauch
verschwunden. Gängigere Systeme sind "jemandem honig ums Maul
schmieren" oder - rumschleimen. Das maschinenbewehrte Quartett
hat neben einem Kreditinstitut, dem Ibbenbürener Klinikum und dem
Kreistag in Steinfurt auch die Wochenmärkte in Ibbenbüren und
Hörstel als mögliche Einsatzorte auf den Plan gesetzt. der Bauchpinsel
soll rotieren, wo es etwas - und jemanden - zu bauchpinseln gibt.
"Okay, du übernimmst dann die Dokumentation der Aktionmit der
Videokamera," sprechen sich Käthe Wenzel und Lisa Glauer mit dem
54-jährigen Klaus Steltenkamp ab. der derzeit arbeitslose EDV-Kaufmann,
der in Hartz IV gelandet ist und von der Arbeitsförderungseinrichtung
"Gemeinsam für Arbeit und Beschäftigung im Kreis Steinfurt" (GAB)
an die beiden überwiesen wurde, wird neben dem Filmen die Aufgabe
haben, die Webseite des Aktivistenquartetts zu pflegen.
Enen Monat später. Die Menschen auf dem Hörsteler Wochenmarkt
ducken sich an diesem Donnerstagmorgen unter dem Gallerregen,
der unmissverständlich klar macht, dass für eine Besserung der
Lage nur das Bauchpinseln beim göttlich bestellten Wettermacher
sorgen könnte. Der Draht aber kommt an diesem Tag nicht zustande.
Stattdessen macht sich die gruppe samt Maschine nach einer Lagebesprechung
in einem Café daran, Hörstler Bäuche zu pinseln. Einen tag zuvor,
auf dem Markt in Ibbenbüren, ist das noch einfacher gewesen. Das
Wetter spielte mit. So mancher Passant entblößte bereitwillig
seinen Nabel, ließ sich am eigenen Körper den Hintergrund der
Kunstaktion erklären.
"Gerade bei uns Ehrenamtlichen ist ein bisschen Lob und Bauchpinselei
angebracht," hat etwa eine Frau an einem Infostand der SPD sich
über den Besuch des Pinselquartetts gefreut. Der Vorsitzende ihrer
partei hat gerade medienwirksam in den Büschen sitzende und aus
ihnen feuernde Genossen abgemeiert: "Ich lasse mir diesen Scheiß
nicht länger bieten!", soll Kurt Beck in einer Fraktionssitzung
gezürnt haben, woran er sich selbst gar nicht mehr so konkret
erinnern kann. Wäre beck an diesem Donnerstagmorgen zufällig in
Hörstel unterwegs, er müsste in seinem Buddha-Bauch nicht mehr
länger die Sorgen der Welt tragen, sondern könnte sich mal so
richtig und ausgiebig pinseln lassen. Dann wird's auch was mit
der Partei, vielleicht. Aber auch ohne den Obersten der Genossen
kommen Lisa Glauer, Käthe Wenzel, Christine Oehler und Klaus Steltenkamp
auf dem Hörsteler markt schließlich zum Zuge. Am nabel einer jungen
Frau verrichtet der rotierende Pinsel sein wohltuendes Werk, nachdem
die Passantin zunächst zu verschiedenen Aspekten des bauchpnselns
befragt worden ist.
"Wann haben Sie das letzte Mal gebauchpinselt?", will Christine
Oehler wissen. Eine ältere Frau kommt darüber hinzu, bleibt stehen,
und ja, bauchpinselwillig ist sie auch. Nur Klaus Stltenkamps
Kamera macht sie noch etwas nervös. Doch am Ende siegtdie Verlockung
des Ungewohnten. Denn wir alle bauchpinseln zwar, werden aber
eben doch viel zu selten gebauchpinselt.
wps1: The Bio-Blurb Show, Edition #14. First broadcast February 27, 2006
The Missing Link - Transitional Forms in Art and Biomedicine
Interview mit Suzanne Anker
Susanne Nessler, Deutschlandradio Kultur, 28.07.2005, 15:10.
Zwischen Kunst und Wissenschaft.
Während sich Schriftsteller
immer wieder mit wissenschaftlichen und medizinischen Themen auseinandersetzen,
scheint es zwischen Kunst und Wissenschaft kaum Berührungspunkte
zu geben. Das Projekt "missing link" will nun den Austausch intensivieren
und zeigt, wie Künstler medizinische Themen in ihre Arbeit einbringen
und wie Wissenschaftler künstlerisch tütig werden können. Knochen
für Knochen reihen sich Flügel- und Schenkelstücke abgenagter
Hähnchen zu einer Korsage. Ein Gerippe aus Stoff und tierischem
Material. Ein Kleid aus Geflügelknochen. Daneben hängen riesige,
tiefrot gefärbte Nervenzellen an der Wand, es folgen Aktportraits,
bunte Computermodelle von Eiweißmolekülen. Ein paar Schritte weiter
gibt es Muttermilch in Tetrapacks und die Häutung eines Kaninchens
als Videoclip zu sehen.
Eine Ausstellung über, mit und um das Thema Körper. Das Resultat
einer einjährigen Zusammenarbeit zwischen Biomedizinern und Künstlern.
Organisiert von der Charité und der Universität der Künste in
Berlin. Wolfgang Knapp:
"Die Frage war, welche Art von Blick die Biomedizin in der Forschung
- gestützt durch Bild gebende Verfahren und technisches Gerät
- hat. Und welchen Blick auf den Körper Künstler und Künstlerinnen
haben."
Mediziner haben versucht ihre Arbeit künstlerisch zu betrachten
und Künstler haben den Blickwinkel eines Arztes eingenommen. Ein
gemeinsamer Versuch zu begreifen, was ein Bild vom Körper alles
bedeuten kann. Ingo Bechmann, Arzt an der Charité hat zum Beispiel
die riesigen roten Nervenzellen an die Wand gehängt. Er fand die
Aufnahmen schon beim Betrachten durch das Mikroskop wunderschön.
Aber erst die Zusammenarbeit mit einem der Künstler, der regelmäßig
in seinen Anatomiekurs kam, führte dazu, dass Ingo Bechmann die
winzig kleinen Nervenzellen auf eine zwei mal zwei Meter große
Fläche drucken ließ.
Bechmann: "Bei uns ist das eine alltägliche Erfahrung, dass du
irgendetwas gesehen hast unter dem Mikroskop und du guckst ein
Jahr später drauf und siehst mehr oder etwas anderes, und du guckst
zehn Jahre später drauf und siehst mehr und etwas anders und hast
mehr verstanden, und das ist dann natürlich wunderbar, wenn man
einen Maler hat, weil wir die Vorstellung haben, der kann doch
bestimmt noch viel mehr gucken und der beweist das auch, denn
wir versuchen auch zu zeichnen, aber so hätte ich das nie hingekriegt."
Früher vor 100 Jahren gehörte das Zusammentreffen von Arzt und
Maler zum Programm der meisten Hochschulen. Mediziner brauchten
Künstler, die ihnen exakte Bilder und Zeichnungen für ihre Lehrbücher
lieferten und Künstler brauchten die Ärzte, damit sie ihnen einen
Blick unter die Haut in den Aufbau des Körpers gewährten.
Heute operieren beiden Gruppen mit zahlreichen Bildern, unabhängig
voneinander - und zwar immer detaillierte und spezifischer. Computertomographien,
Endoskope und hoch auflösende Mikroskope liefern exakte Teilaufnahmen
vom menschlichen Körper. Was dabei aber fehlt, ist quasi das Bild
vom Menschen selbst, von seinem Körper als Gesamtheit, sagt Wolfgang
Knapp vom Fachbereich Kunst im Kontext, der Berliner Universität
der Künste:
"Und wenn man die Unterschiede und die Differenzen sichtbar macht,
dann gibt man auch dem interessierten Laien die Möglichkeit, sich
dieser Komplexität anzunähern und selber weiter zu fragen, ohne
nach diesem schnellen Anwendungshungerprinzip zu reagieren, habe
ich nicht verstanden kann nicht sein."
Überraschend für den Betrachter ist, dass die Ausstellungsobjekte
der Künstler realer und begreifbarer erscheinen, als die Bilder
aus der Forschung. Muttermilch in Tetrapacks stellt einen sehr
viel deutlicheren und direkteren Bezug zum Thema Körper her, als
es die wissenschaftliche Darstellung von Proteinmolekülen in einer
Computeranimation schafft. Der Grund dafür ist, dass in der medizinischen
Praxis einfach Vieles ausgeblendet wird, sagt der Künstler Frank
Schöpel:
"Mir ist sehr stark aufgefallen, dass auf Funktionen sehr stark
geguckt wurde, also wichtig waren eben die Dinge des Körpers,
die eine Funktion hatten, die zu Muskelanspannung führen konnten
und Körperteile bewegen konnten oder die eine Leitung waren. Und
da gab es aber auch andere Sachen, die visuell genauso da waren,
die aber weggenommen wurden, weil sie eben nicht diese Wichtigkeit
hatten."
Der Arzt sucht nach der genaue Diagnose, der Künstler will ihre
Auswirkung begreifen. In der Gegenüberstellung von Kunst und Medizin
werden die unterschiedlichen Blickwinkel und Arbeitsweisen deutlich.
Und ebenso die Gemeinsamkeiten. Denn beide Gruppen stehen immer
wieder vor derselben Frage: Was sagt ein Bild über den Menschen?
Zwischen großen Kühlschränken mit Zellmaterial in Reagenzgläsern,
quietschrosafarbenen Wachsreliefs, Hühnerknochen, roten Nervenzellen
und Aktportraits findet man dazu viele Antworten und noch viel
mehr Fragen...
berlin art info Nr.43 07/2005. S.26-27.
Missing Link - Wie schön sehen 182 Tage einer Labormaus aus?
Ein
Sommer, ein Landsitz in Brandenburg und eine Gruppe Künstler und
Biomediziner. Ein experiment. "Gibt es eine Kooperationsbasis
zwischen Kunst und Wissenschaft, oder ist unsere Gesellschaft
zu spezialisiert, um Gemeinsamkeiten zuzulassen? Unterscheiden
sich kreative Prozesse im künstlerischen und wissenschaftlichen
Feld?" Dies sollte die Fachtagung, initiiert von Professor Cornelius
Frömmel (Charité)und Wolfgang Knapp (UdK), beantworten. Entstanden
ist die Ausstellung "missing link - public understanding of art
and sciences", in der Malerei, Objekte, Installationen und Videos
der Künstler den Forschungsbeispielen und Arbeitsproben der Mediziner
gegenüberstehen. Beide Fraktionen betreiben ein Spiel mit Ambivalenzen,
zeigen Gewohntes in ungewohnter Weise und umgekehrt.
Besonders reizvoll wird diese Konfrontation, wenn sich die Exponate
nicht sofort und eindeutig einer wissenschaftlichen oder künstlerischen
Herkunft zuordnen lassen. So sieht z.B. der 182 Tage lang von
Achim Kramer aufgezeichnete traurig-gleichförmige Rhythmus einer
armen Labormaus als Grafik dargestellt geradezu interessant aus.
Die Geopoesie von Martin Juef hat auf den ersten Blick etwas von
einer Seite eines Erdkunde-Schulbuchs. Erstaunlich ist immer wieder,
wie gering der Unterschied zwischen sichtbar gemachten Vorgängen
in der Natur und künstlerischen Arbeiten sein kann, z.B. der fakt,
dass diese Unterschiede zuweieln gar nicht existieren. Wie kann
man sich z.B. eine "Entorhino-hippocampale Projektion einer Ratte
visualisiert durch stereotaktische Injektion eines axonal transportierten
Fluoreszenzfarbstoffes" 200fach vergrößert vorstellen? Die Antwort:
groß, rot, abstrakt und wunderschön.
Anderes sieht zugegebenermaßen so langweilig aus, wie es trocken
klingt. Hinter "Pex19-Bindestellen in den peroxisomalen Membranproteinen..."
verbergen sich altbekannte und eher unspannende Diagramme. Blickfang
im Raum sind ohne Zweifel die liegenden Menschen, die Frank Schöpel
in fluchtpunktloser Perspektive und lebensgroß auf weißes Holz
gemalt hat. So genau und lebendig, dass man meint, ihr Atmen und
Augenblinzeln hören zu können. Andreas Wendts 9-teilige Aquarellserie
"Aktion Vril", inspiriert von Thor Kunkels Buch "Endstufe", erfordert
hingegen etwas genauere Betrachtung für die Feinheiten im Bild
und den Hintersinn seiner Arbeit: "Die Absurdität des menschlichen
Tuns bildet in diesem Fall eine ästhetische Schablone für das
emblematische Scheitern einer Idee."
Wer schließlich bei Tara Parsons "Dental Records" - einer Installation
aus Zahnseidebehältern, aus denen sich Röntgenfotos von Zähnen
in dünnen Streifen herauswinden - mehr Lust auf Röntgenfotos bekommen
hat, kann sich einen Stockwerk tiefer Torsten Seidels ins überdimensionale
vergrößerte Röntgenporträts von den Schädeln sowjetischer Soldaten
ansehen. Für ein bisschen Gruseln im Bauch.
Ingeborg Ruthe in: Berliner Zeitung, 18. Juni 2002
Täschend lebensecht
"Wächserne Identitäten"
aus dem späten 20. Jahrhundert im Georg-Kolbe-Museum Berlin verbreiten vor allem die Melancholie der Vergänglichkeit
Es
gibt noch überraschendes im Berliner Ausstellungswesen: Das Georg-Kolbe-Museum,
in seinen bisherigen Skulpturenausstellungen stark dem Traditionellen
verpflichtet, zeigt nun junge Kunst, die mit großen Gefühlen spielt
- mit Ergriffenheit und Trauer, mit Schock und Ekel. Mehrfach
ist es einfach ein wortkarger Bildwitz, der Bände spricht. Dabei
ist diese Ausstellung von Wachsskulpturen keine Provokation. Auch
wenn manche Arbeit zunächst zynisch wirken mag, entpuppt sie sich
bald als melancholisch. Wachs ist eben ein vergänglicher Stoff,
wie der menschliche Körper auch.
Schon in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, das vor 200 Jahren
in London und dann in Paris gegründet wurde, waren Helden zu sehen,
Märtyrer der Französischen Revolution. "Lebensecht"
in Wachs nachgebildet, sollten sie dem Publikum nahe gebracht
werden. Dieses reagierte zuerst geschockt, dann fasziniert. "Lebensecht"
hat im Kolbe-Museum auch der Londoner Bildhauer Gavin Turk den
kubanischen Superhelden Che Guevara hinter Glas wieder auferstehen
lassen, machohaft-aggressiv, pistolenbewehrt, das Barett mit dem
Stern kühn in die Stirn gezogen - ein heroischer Guerillero mit
stahlharter Miene und visionärem Blick.
Der geklonte Che steht uns als popkulturelles Abziehbild gegenüber.
Die Pose hat Turk, das ist nicht zu übersehen, von Warhols berühmtem
fotografieartigen Siebdruck kopiert, der den schießbereiten Elvis
Presley zeigt. Gerade Turks Che-Plastik verkörpert vordergründig,
worum es den 30 internationalen Künstlern in der Berliner Ausstellung
"Wächserne Identitäten" geht: um Doppelgänger und Wiedergänger,
letztlich um monströse Metamorphosen des K%ouml;rpers.
Wachs lässt sich widerstandlos formen, es lässt sich zum Gießen,
zum Modellieren, zu Bossieren einsetzen. Wegen seiner glänzenden,
immer ein wenig feucht wirkenden Oberfläche kann Wachs die Beschaffenheit
menschlicher oder tierischer Haut ideal imitieren. Gerade das
wussten Bildhauer und Objektartisten zu schätzen, die im 20. Jahrhundert
ihre Obsession für den Körper wieder entdeckten. Unmengen von
Wachs verarbeiteten in den Sechzigern schon die Arte-Povera-Pioniere,
ein Jahrzehnt später die Pop-Artisten. In ihren Nachbildungen
wurde das Memoriale l&auiml;cherlich und das Monströse trivial. Junge
Künstler wie der Brite Gavin Turk folgen dieser konzeptuellen
Linie heute mit ihren Mitteln.
In der Antike allerdings hatte das Wachsbild niemals ironisierende
oder gar kulturkritische Funktion: Es diente dem Totenkult. Plinius
berichtet in seiner "Naturalis Historiae" von "imagines";
er beschreibt ausführlich bienenwächserne Bildnisbüsten, die aus
Totenmasken entstanden. Sie hatten mystische Funktion: mit einem
lebensechten Abbild sollte die irdische Abwesenheit des Verstorbenen
kompensiert werden. So würde er über Generationen in Erinnerung
bleiben. Auch die alten Römer kannten Bienenwachsmasken, die den
Verstorbenen aufgelegt wurden, um die Verwesung zu kaschieren
oder die Toten vor Geistern zu schätzen.
Diesen antiken "imagines" kommen im Kolbe-Museum die
Plastiken des israelischen Bildhauers Gil Shachar am nächsten.
Bei ihrem Anblick wird klar, warum es schon immer die auf Augentäuschung
beruhende Mimesis war, aus der Wachsfiguren seit Jahrtausenden
ihre eigentümlich magische Anziehungskraft beziehen. Shachars
Bildnisbüste "Herrmann" hat einen ausgeprägt autistischen
Zug. Die geschlossenen Augen der Wachsfigur verstärken das Rätselhafte.
Mit dieser kopierenden Simulation eines Menschenbildes verweist
der Bildhauer zugleich auf ein Dilemma hyperrealistischer Kunst:
Mit dem Abbild entsteht ein Phantom, es irrt umher zwischen dem
Reich der Lebenden und der Toten.
Im Christentum gilt Wachs seit dem Mittelalter als Stoff, der
den Leib Christi symbolisieren konnte. Votivgaben sind häufig
aus Wachs geformt, man fertigte Bitt- oder Dankopfer - vor allem
jene Körperteile, für die man sich im Gebet Heilung oder zumindest
Linderung der Schmerzen erhoffte. In der Renaissance wurde der
gefügige Stoff mit Vorliebe für die Porträtplastik verwendet.
Diese Tradition persiflierend, stellt der Österreicher Thomas
Sturm sich in der Ausstellung zweimal selbst mit geschlossenen
Augen dar, einmal in barocker Herrscherpose, mit naturalistisch
farbigen Gesichtspartien um Auge, Nase und Mund, womit er bewusst
die ernste Klassizität der Formgebung untergräbt. Im zweiten Selbstbildnis
hingegen haben Kopf, Hals und Oberkörper das feierliche Wachsgelb
von Kirchenkerzen. Der Verfremdungseffekt ist frappierend, die
Verdoppelung lässt einen schaudern: Wir leben schließlich in einer
Zeit, in der das Klonen wissenschaftlich und technisch möglich
geworden ist.
Das "Selbstporträt" des New Yorkers Paul Thek gehört
zu einer Serie lebensgroßer menschlicher Gliedmaßen aus bemaltem
Wachs. Diese "Reliquien" unter Plexiglashauben - gleichsam
konservierte Zeugnisse der Vergänglichkeit des Körpers - verstören
unmittelbar. Eine Entsprechung dazu sind die weißen "Köpfe
mit Mundsperrer" des Schweizers Anselmo Fox. Auf surrealistische
Weise erinnert er daran, dass nicht zuletzt für die Medizin noch
bis Mitte des 20. Jahrhunderts Figuren und Modelle aus Wachs zur
Ausbildung gehörten. Keine Prothese, deren Konstruktion nicht
zuvor einem Wachsmodell angepasst wurde, keine dritten Zähne,
die nicht zuerst im Wachskiefer Probe gesteckt hatten.
Die gruseligste Plastik der Ausstellung stammt von dem Londoner
Künstler John Isaac. Der Anblick einer brutal sezierten Wachs-"Leiche"
mit viel echt wirkendem Kunstblut ist eine Anatomiestunde, die
sich auf Hogarths Kupferstich "Lohn der Grausamkeit"
(1751) bezieht. Auf dessen Blatt ist dargestellt, wie ein toter
Mörders seziert wird. Sogar nach dem Tod muss der Verbrecher für
seine grausame Tat büßen.
Wolfgang Stiller aus New York verzahnt in seiner Plastik "Twins",
in der er zwei naturalistische Babyköpfe aus einer Schüssel wachsen
lässt, das Mysterium der Zeugung von Leben mit dem des Todes und
der Wiedergeburt. Damit liefert der Künstler einen sehr persönlichen
Kommentar zum Diskurs um eine fragwürdig gewordene Identität im
Zeitalter der Präimplantationsdiagnostik und zu den aktuellen
bioethischen Debatten.
Ganz anders, nämlich lakonisch und ironisch, geht Käthe Wenzel
aus Berlin das Thema an. Sie formte "Survival Kit für das
nächste Jahrhundert". Ein Ersatzteilkoffer mit wächsernen
Händen, Ohren, Brüsten - und einem Schweineherzen. Alle "Ersatzteile"
hat sie mit chinesischen Schriftzeichen versehen, aber einen Sinologen
gibt es im Kolbe-Museum nicht. Die Gebrauchsanweisung zur Selbsttransplantation
ist für unsereins untauglich.
Jessica Ullrich (Hg.): Wächserne Identitäten. Figürliche Wachsplastik am Ende des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung im Kolbe-Museum. Berlin 2002. S. 62-63.
Käthe Wenzel
Käthe
Wenzel benutzt Wachs als Substitut für Fleisch, womit sie sich
auf eine lange Tradition in der Kunst- und Kulturgeschichte stützen
kann. Ihr Motiv ist der menschliche Körper als Fragment. Das Körperfragment
steht der Vorstellung von der Intaktheit und Integrität des Körpers
entgegen, unterstreicht seine Verletzlichkeit und impliziert physische
Gewalt, Unterdrückung und den Verlust einer einstmals imaginierten
Einheit. Wenn Menschen als bloße Fragmente dargestellt werden,
können sie als ihrer Identität beraubt und dadurch entmachtet
erscheinen. Außerdem spiegelt sich in Darstellungen von bruchstückhaften
Körpern die Erkenntnis wider, dass heute keine gültigen Ideen
eines authentischen" Körpers mehr darstellbar sind.
In
ihrer Gleichförmigkeit erinnert beispielsweise eine Serie von
wächsernen Füßen nicht nur an die modernen Körperkopierversuche
der Gentechnologie, sondern auch daran, dass Wachs traditionell
als Kopiermedium gilt. Serielle Herstellung und liebevolle Handarbeit
sind in Wenzels Abgussarbeiten ebenso vereint wie enzyklopädisch
aufgearbeitete Naturwissenschaft und pseudoreligiöser Souvenirkitsch.
Die Verfremdungen, die durch Einfärbung des naturalistisch abgegossenen
Wachses entstehen, machen auf den Abstand zwischen Original und
Kopie aufmerksam.
Wenzels
tragbarer Ersatzteilkoffer" mit jederzeit verfügbaren,
austauschbaren Brüsten, Ohren, Händen und Herzen spielt weniger
auf Duchamps La Boûte en Valise" an als auf Auswüchse
des heutigen Körperkultes und die fragwü,rdigen Errungenschaften
moderner Schönheitschirurgie und Prothesenmedizin. Die Illusion,
man könne Körperteile nach Bedarf einfach austauschen, wird mit
der beigelieferten, unbrauchbaren, da chinesischen, Gebrauchsanweisung
Lügen gestraft. Dass die inneren Organe aus Abgüssen tierischer
Körperteile entstanden sind, ist nur folgerichtig: Wird doch schon
lange das Schweineherz menschlichen Patienten transplantiert.
Das Fleisch ist eine Kategorie, die alles Lebendige teilt. Der
Körper wird in Käthe Wenzels Wachsobjekten auf drastische Weise
auf seine vergänglichen Elemente reduziert allerdings nicht
ohne die Frage nach etwas Dauerhaftem zu stellen, das über die
fleischliche Existenz hinausweist. Es ist denn auch der schmale
Grat zwischen lebendem und totem Fleisch, der Wenzel interessiert.
So möchte sie ihre wächsernen Fleischstücke auch als künstlerische
Kommentare zur Materialismus-Idealismus-Debatte verstanden wissen.
Einem naturalistischen wächsernen Lammrücken, den sie mit Federn
ausstattet, gibt sie den Titel Himmelfahrt", um Vorstellungen
über die Auferstehung des Leibes zu hinterfragen. Ebenso wie Paul
Theks Arbeiten, in deren Nachfolge Wenzels Fleischstücke zu lesen
sind, erinnern solche Objekte an aufwändig verzierte religiöse
Opfer wie auch an Reliquien.
Marieke Brandt, Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 8. Juni 2000.
"Absolut tragbar - Survival-Kits für das 21. Jahrhundert"
Diese
Objekte tragen den Namen "Survival-Kits". Dazu muss erstmal
festgestellt werden, dass diese Objekte - wie alle Objekte, schlimmer
noch als Subjekte - irgendwie verdächtig sind. Sie sind hochgradig
nervös, ständig in Bewegung, flüchtig. Sie werfen sich Namen über
wie Tarnmäntel: Reisealtar, oder Bibliothek von Alexandria, Fluchtversion.
Sie heißen Le Grand Bleu oder behaupten, ein katholisches Fluchtgepäck
zu sein.
Diese Objekte sind ein Prêt-á-Porter der Panikkultur. Sie erzählen
davon, wie in unberechenbaren Zeiten Fluchtgepäck salonfähig wird.
Doch kaum sind sie drin, im Salon, sind sie auch schon wieder
weg. Darin sind sie wie die Transsibirische Eisenbahn: kaum ist
da Sibirien, schon sind sie hindurch und irgendwo jenseits wie
Transsilvanien, das jenseits, nämlich hinter den Wäldern liegt.
Hinterwäldlerisch sind sie deshalb nicht.
Nur etwas unheimlich.
Sie tauchen in ein bekanntes Medium ein, sagen wir, in die Fotografie
oder Malerei, beleben es mit ihrem Charme, und verschwinden durch
die Dunkelkammer. Zugleich vagabundieren sie im Grafischen und
behaupten, bloß eine Zeichnung zu sein. Sie wildern in der Literatur
und nomadisieren durch die ganze Weltgeschichte, mindestens jedoch
durch das Zeitalter der Aufklärung 1-3.
Aufklären tun sie aber gar nichts. Eher verwischen sie alle Spuren.
Anhaltspunkte kommen gar nicht vor. Sie sind einfach nicht zu
fassen. Das heißt, diesseitig sind sie gar nicht fassbar. Sie sind
zugleich dies und das, dies und jenes, und zwar hier wie dort.
Wir ahnen, hier muss eine hochprozentige Mischung aus Zufall und
Kalkül im Spiel sein. In diesem Sinne kann es mir jetzt nicht
darum gehen, Klarheit zu schaffen. Vielmehr geht es darum, größtmögliche
Verwirrung zu stiften. Hier steht Fluchtgepäck bereit. Wer flieht
hier? Und wohin? Wovor? Niemand weiß es. Die Objekte verraten
es uns nicht. Aber sie geben dem Unberechenbaren etwas mit auf
den Weg.
Dies ist eine ausgesprochen nomadische Ausstellung. Sie ist ein
Symposion zum Thema "Absolut überlebensnotwendig". Hier
stehen Koffer, gepackt mit dem Allerüberlebensnotwendigsten. Wer
braucht schon Zahnbürsten, wenn er einen Reisealtar haben kann?
Und was die Reiseziele und Zufluchtsorte angeht, so erübrigt sich
auch das von selbst. Nomaden kommen nie wirklich irgendwo an.
Warum sollten sie auch? Schließlich sind sie ja Nomaden.
Darüber sollten wir nachdenken. Aber nicht hier.