presse (auswahl)

Berlin, mit Herz gemalt.
Liebevolle Kiez-Comics von Käthe Wenzel und Juliane Pieper zeigt die Galerie kurt im hirsch
In: B.Z., 03.07. 2013 - von Hans Marquardt

Zeichnen als Forschung
Frank Kaspar in: Forschung und Gesellschaft. DeutschlandRadio Kultur, 17. 11. 2011, 19:30 Uhr.

The Bio-Blurb-Show.
Interview mit Suzanne Anker auf wps1, dem Sender des PS 1 Museum, New York. 27. Februar 2006.

Snippets

Berliner Zeitung, 06.03. 2013

Technik zum Anfassen: Technikmuseum wird 30 Jahre alt

Ein Flugzeug auf dem eigenen Dach haben eigentlich nur Präsidenten oder Multimillionäre - und das Deutsche Technikmuseum. Seit 30 Jahren zeigt es nicht nur Ausstellungen rund um die Themen Verkehr und Mobilität, sondern auch zu Film -und Gomputertechnik. sowie zu Chemie und Pharmazie. Um seinem Ruf als eines des weltweit führenden Museen seiner Art gerecht zu werden, hat man sich auch für das Jubiläumsjahr einiges einfallen lassen. Zur Zeit findet die erste große Ausstellung "Orenstein & Loewe - 20 deutsch-jüdische Ingenieure, Erfinder und Fotografen. 1933-1945" im Rahmen des Berliner Themenjahres "Zerstörte Vielfalt" statt. Als "Objekt des Monats" werden im Jubiläumsjahr wechselnd Exonate von 1983 zu sehen sein. lm März sind es zwei Baukästen und eine Grubenlampe, die der damalige Direktor bei einem Flohmarktbesuch erworben hatte.

"Bilder von morgen" gibt es ab dem 19. März in einer Open-Air-Präsentation: Künstlerin Käthe Wenzel hat Besucher gefragt, wie sie sich das Museum der Zukunft vorstellen, und die Antworten in comicartigen Zeichnungen interpretiert. Im Sommer geht es dann richtig los: Am 9. August soll das Science Center Spectrum interaktiver als zuvor wiedereröffnen, mit vielen neuen Möglichkeiten zum Experimentieren und Forschen. Am 25. August steigt dann das Sommerfest für die ganze Familie - bei freiem Eintritt.

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Valerie Schönian in: Der Tagesspiegel, 20.03. 2013

Mit der Gondel durch die Ausstellung

Man versetze sich zumindest gedanklich in eine Zeit vor dem Winter. Wie wäre es an einem heiß-trägen Augusttag, ein Museum in der Stadt zu haben, dessen Straßen komplett geflutet sind: Die Besucher schippem auf Gondeln von Ausstellung zu Ausstellung, das Wasser immer unter den Füßen. Wenn es nach zwei Berlinerinnen Anfang 40 ginge, sollte so das Museum der Zukunft aussehen.

Die Künstlerin Käthe Wenzel hat die beiden Frauen im vergangenen August nach ihren Versionen für die kulturellen Stätten gefragt - und mehr als fünfzig weitere Stadtbewohner. Die Antworten hat sie in Form von Cartoons festgehalten. 24 davon sind seit Dienstag und bis zum Ende des Iabres in der Ausstellung "Bilder von morgen" auf dem Freigelände des Deutschen Technikmuseums (DTM) zu sehen: Dabei sind ein rollstuhlgerechtes James- Bond-Flugzeug, ein Flugsimulator und ein SwiImmingpool auf dem Dach.

Es habe aber auch bescheidenere Wünsche gegeben, sagt die Künstlerin, wie beispielsweise Toiletten oder Sitzplätze in ständiger Reichweite. Anlass für das Projekt ist der geplante Anbau "Technoversum" des DTM. Die Bilder sollen einen besonderen Blick darauf schaffen, sagt Iris Kühnberger, Bildungsleiterin des Museums. Ob dort irgendwann mal Gondeln fahren sei abzuwarten, aber: "Die Toiletten kommen auf jeden Fall."

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Käthe Wenzel in: Jellibelly-Bauchpinselmaschinen-Service. Berlin 2008

Jellibelly-Bauchpinselmaschine - ein Service-Projekt

Jellibelly-Bauchpinsel-Service
Heute schon gebauchpinselt? Die Jellibelly-Bauchpinselmaschine hilft bei der Erzeugung von Wohlbefinden und der Erhöhung des Selbstwertgefühls. Beliebte Einsatzgebiete sind Jobsuche, Auftragsbeschaffung, Kundenpflege und Mitarbeitermotivation. Bisher wird meist in individueller Kleinarbeit gebauchpinselt: Die Jellibelly-Bauchpinselmaschine garantiert zum ersten Mal eine gleichbleibend hohe Qualität. Lassen Sie sich pinseln oder pinseln Sie selbst - für Personen in Macht- und Leistungspositionen ist der Bauchpinsel-Service ebenso unverzichtbar wie für Menschen in prekärer Beschäftigung.

Die Bauchpinselmaschine ist ein Gerät, das eine täglich in allen Lebensbereichen angewendete Kulturtechnik mechanisiert und auf Abruf verfügbar macht. Außerdem ist sie der Versuch, das Konzept der Servicegesellschaft zu Ende zu denken, ein Grundmotiv von Serviceleistungen zu erkunden, einen Ur-Service zu erfinden, um ihn auf und über die Spitze zu treiben. Was Marketing-Fachleute, die inzwischen oft unter ähnlich prekären Bedingungen arbeiten wie wir als Künstlerinnen, täglich in aller Ernsthaftigkeit betreiben, das wollen wir auch, nur lauter, schriller, und so offensichtlich wie möglich. Eine unsichtbare Form der Kommunikation wird sichtbar, und damit diskutierbar: Wer bedient wen, und zu welchem Zweck? Wer pinselt wessen Bauch, und wer hat etwas davon? Wird in Hierarchien nach oben oder nach unten gepinselt, oder in alle Richtungen gleicherweise? Führt die Krise und Umstrukturierung des Arbeitsmarktes zu mehr oder anderen Formen des Bauchpinselns?

Die Jellibelly- Bauchpinselmaschine besteht aus einem elektrisch betriebenen Schwenk-Arm mit austauschbaren Pinseln. Die praktische "Handtaschenversion" wird von einem Team von zwei bis drei Servicekräften in Jellibelly-T-Shirts bedient, bezahlt auf 1-Euro-Basis. Die fest installierte Standversion dagegen wird durch den Einwurf einer 1-Euro-Münze aktiviert und erlaubt die Einsparung des Teams. Dazu gehört eine zeitgleiche Videoprojektion des gepinselten Bauches auf die nächste Wand und die Einsicht in die während des Projekts entstandenen Statistiken, Briefwechsel und Akten.

Befragung
In der ersten Testphase mit Befragungen von Passantinnen und Passanten in Berlin und im Münsterland ging es zunächst um Aussehen und Beschaffenheit der Bauchpinselmaschine: Was müsste eine Bauchpinselmaschine für Sie leisten? Welche Farbe würden Sie bevorzugen, rot, beige, grün, pink, blau (bitte ankreuzen)?
Wie sollte der Pinsel beschaffen sein, klein, mittel, groß? Sanft, weich, oder hart?
Welche Optik ist für Sie am ansprechendsten, rustikal, modern, futuristisch, ergonomisch?
Diskussionen entzündeten sich bereits an der Frage, ob der Begriff des "Bauchpinselns" positiv oder negativ besetzt sei. Vielen jüngeren Befragten (unter 25) war der Ausdruck nicht geläufig, und Befragte, deren Muttersprache nicht deutsch ist, fanden ihn schwer zu übersetzen. Dem ambivalenten deutschen Begriff am nächsten kam vielleicht das slowenische "jem. auf die Seele pusten", aber auch das türkische "jem. Die Augen schminken" wurde mehrfach vorgeschlagen.

Mehr als ein Drittel der Befragten ließ sich bereitwillig bauchpinseln, pinselte sich untereinander oder das Team. Die entscheidenden Fragen: Wie und wo wurden Sie zuletzt gebauchpinselt? Wo konnten Sie erfolgreich bauchpinseln? wurden zunächst gern privat beantwortet, als würde das intime Bauchpinseln im Privaten als angebracht, am Arbeitsplatz aber als unpassend empfunden. Die unterschwellige erotische Dimension der Bauchpinselmaschine, die auch die Form des Standmodells beeinflusst hat, wurde grundsätzlich wahrgenommen und mehr oder weniger offen kommentiert, von "Olalá" bis zu anzüglichen Witzen. Eine Journalistin brachte die spezielle Kombination aus Wellness-Service und Hierarchie-Forschung in der Frage auf den Punkt: "Wo beginnt die Prostitution?"

Bauchpinseln am Arbeitsplatz
Nach und nach gab es klarere Äußerungen zum Bauchpinseln in Arbeitsbeziehungen. Dabei wurde vor allem das Bauchpinseln zur MitarbeiterInnenmotivation thematisiert, also in seiner Form als Lob und Ermutigung, aber auch als Methode, mit der Vorgesetzte ihre MitarbeiterInnen zu Überstunden oder zur Übernahme ungeliebter Aufgaben zu bewegen suchen. Auf die Frage, ob die Befragten ihrerseits KundInnen, AuftraggeberInnen oder Vorgesetzte bauchpinselten, um Aufträge oder Vergünstigungen zu erhalten, variierten die Antworten von "nein, so etwas mache ich nicht," (mehrfach im Münsterland) über "ich mache lieber einen praktischen Vorschlag" (Bern) bis hin zu "natürlich, wir machen das doch alle die ganze Zeit!" (mehrfach sinnngemäß in Bern und Berlin) und "Ich war auch Bauchpinsler!" (Hörstel, Münsterland).

Inwiefern die Umstrukturierungen am Arbeitsmarkt die Einstellung zum Bauchpinseln oder seine Häufigkeit und Dringlichkeit verändert haben, lässt sich vielleicht weniger aus den direkten Äußerungen, als aus der Beobachtung der befragten Personengruppen ablesen. Während im Kreis Steinfurt, dem es wirtschaftlich verhältnismäßig gutgeht, vor allem Befragte über 45 das Bauchpinseln tendenziell als Manipulationsversuch empfanden, schienen BerlinerInnen zwischen 25 und 35, die offensichtlich freien künstlerisch-wissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, bauchpinselnde Kontaktarbeit als selbstverständlich zu betrachten. Inwieweit dies mit unterschiedlicher finanzieller Absicherung, prekären Lebenssituationen oder freiberuflichen Arbeitsstrukturen zu tun hat, lässt sich schwer entflechten.

Die präziseste Analyse eines Bauchpinselvorgangs lieferte interessanterweise ein Lokalpolitiker, der den Prozess in mehrere Stadien aufteilte, nämlich 1. in eine lobende Einleitung, 2. einen Vorschlag oder eine Bitte und 3. das Versprechen, dass der oder die Gepinselte bei Erfüllung der Bitte noch mehr Lob oder Erfolg ernten werde. Leider fanden es viele Befragte unmöglich, ihre eigenen Bauchpinselerfahrungen so genau zu schildern. Das mag damit zu tun haben, dass die Methode anscheinend dann am meisten Erfolg hat, wenn sie unbemerkt angewendet wird: "Man merkt die Absicht und ist verstimmt," beziehungsweise "Wenn man es merkt, funktioniert es nicht," waren häufige Äußerungen. Dementsprechend wurden die Handtaschenmodelle gelegentlich für Motoren- und Klappergeräusch kritisiert, stießen andererseits aber auch oft auf Begeisterung. Insbesondere der weiche Pinsel und der beim Pinseln erzeugte Luftzug wurden als angenehm empfunden.

Regionale Unterschiede
Interessant waren die unerwarteten regionalen Unterschiede: Während im Münsterland häufig zwischen "ehrlich gemeintem" und "unehrlichem" Bauchpinseln unterschieden wurde, was ein besonderes Westfälisches Konzept von "Aufrichtigkeit" zu implizieren scheint, lehnten viele der Berliner Befragten die Idee von "ehrlich" oder "unehrlich" rundweg ab und vertraten ein kontextbezogenes Bauchpinselmodell. Zwei Befragungen in Bern zeigten eine große Aufgeschlossenheit und eine grundsätzlich positive Einschätzung von "Buchpinsele", das nach Meinung vieler Befragter zur allgemeinen guten Atmosphäre beiträgt.

Bauchpinseln als Provokation zur Meinungsäußerung
Die Jelllibelly-Bauchpinselmaschine mit ihrer Tendenz zur übergriffigen körperlichen Annäherung, ihrem hochgesteckten Anspruch, durch eine mechanische Handreichung in menschliche Beziehungen eingreifen zu können, und ihrer konsequenten Vermischung von konkreten und bildlichen Kommunikationsebenen, hat unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen. Auf der Straße angesprochen und zum Mitmachen aufgefordert, haben die Befragten die Einladung auf unterschiedlichste Art aufgegriffen. Als Einleitung zum Gespräch hat sich die Maschine dabei auf jeden Fall bewährt. Sie dient dazu, GesprächspartnerInnen und Gesprächspartner dazu zu provozieren, nicht die Hosen herunterzulassen, aber vielleicht das Hemd zu heben, und eine Meinung zur politischen Lage und zur eigenen Arbeitssituation zu äußern. Aus diesen gesammelten Äußerungen entsteht ein bundesweites Soziogramm zum Thema Arbeit.

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Jens P. Rosbach in: Campus und Karriere, Deutschlandfunk, 20.06.2008

Herumschleimen auf Knopfdruck:

Berliner Künstlerinnen stellen Bauchpinselmaschine für den Arbeitsplatz vor

Das Bauchpinseln, sprich die ziel- und zweckgerichtete Fabrikation von Komplimenten, ist mancherorts für die Karriere wichtiger als ein Studienabschluss. Wer sich auf die hohe Kunst der Pinselei nicht so gut versteht, findet Unterstützung in der Bauchpinselmaschine des Berliner Künstlerinnen-Duos Jellibelly. Berlin Alexanderplatz, am Fuße des Fernsehturms. Käthe Wenzel holt ein silbernes, nierenförmiges Gerät aus ihrer Tasche. Ein Gerät mit einem Loch, aus dem ein Pinsel ragt. Die 35-Jährige drückt einen Knopf, der Haarstängel vibriert. Wenzel rückt nun mit dem Elektro-Apparat Passanten zu Leibe. Buchstäblich. Deutschland ist ja auf dem Weg in die Servicegesellschaft. Und das ist der ultimative Service: Bauchpinseln.

Glauer: Sind Sie diese Woche schon gebauchpinselt worden?
Passantin: Nein!

Die Objektkünstlerin klärt die verwunderte Frau auf: Die Kuschel-Installation solle Berufstätige inspirieren, über ihre Erfahrungen mit Komplimenten zu berichten. Passantin Jenny Michawea nickt: Ich kenn mich aus, sagt sie sofort, ich bin n/auml;mlich Personalrätin.

Passantin: Die Kollegen sind überall unzufrieden, weil die Chefs nicht genug loben. Die lassen nur ihren Frust ab, weil sie selber gefrustet sind und jeder ist unzufrieden.
Wenzel: Aber dass alle Leute unzufrieden sind, hat das mit den Einsparungen, mit den Umstrukturierungen am Arbeitsmarkt zu tun?
Passantin: Ich denke mir, das ist ein gesellschaftliches Problem, was gerade hier so abgeht. Die Alten werden rausgedrängt, die will man nicht, man muss - wenn man alt ist - aber länger arbeiten. Und die Jungen kriegen keine man alt ist - aber länger arbeiten. Und die Jungen kriegen keine Arbeit und sind neidisch. Und man wird nicht gelobt von den Chefs, es gibt keinen Zusammenhalt, eigentlich nicht miteinander - gegeneinander.

Der Pinsel-Vibrator stimuliert die Passanten: Schüler berichten, dass sie bei Lehrern "herumschleimen", um gute Noten zu bekommen. Eine Frau erzählt, sie habe ihrer Tochter aus Spaß geraten, mit ihrem Chef ins Bett zu gehen - das fördere die Karriere. Auch Maschinenerfinderin Käthe Wenzel muss manchmal Süßholz raspeln. Die studierte Kunsthistorikerin verdient nämlich ihr Geld mit Dozentenjobs an Hochschulen. Und Unis lassen sich offenbar ebenfalls gerne bauchpinseln.

Wenzel: Ich bewerbe mich um einen Lehrauftrag und dann sage ich denen natürlich, was an ihrer Uni so toll ist, was daran so speziell ist. Meinetwegen, das ist eine Privat-Uni in Deutschland, davon gibt's nicht viele. Und das sind die einzigen, die sich trauen würden, diesen experimentellen Kurs, den ich ihnen anbieten würde, zu machen. Keine staatliche Uni würde das machen. Die sind viel zu verkrustet. Ich brauche ein junges, innovatives Unternehmen wie euch. Und mit euch kann absolut so etwas Modernes, Experimentelles machen.

Die meisten Passanten kommen ins Erzählen, wollen sich aber nicht bepinseln lassen. Einige gehen aber zumindest mit ihren Händen auf Tuchfühlung. Das kitzelt! Künstlerin Wenzel fragt auch bei Politikern an, ob sie über Verbalstreicheleien in ihrem Berufsalltag berichten wollen.

Wenzel: Ein konservativer Bundestagsabgeordneter war neulich ganz irritiert von der haarigen Kunst. Konservativer Abgeordneter, da hat der Referent noch mal angerufen. Und ich hab sehr viel über den kunsttheoretischen Hintergrund erzählt, bis ich verstanden habe, dass die Besorgnis gar nicht darum ging, ob das jetzt künstlerisch fundiert ist oder nicht, sondern es ging darum, ob der Abgeordnete jetzt seinen Bauch entblößen soll oder nicht. Und da habe ich gesagt: Keine Sorge, muss keiner. Kann - muss nicht.

Lisa Glauer ist mit von der Pinsel-Partie. Die ausgebildete Malerin hat zusammen mit Käthe Wenzel den "Jellibelly- Bauchpinselmaschinen-Service" gegründet. Die Aktionskünstlerinnen filmen ihre Begegnungen, laden die Videos bei YouTube hoch und zeigen sie in einer Ausstellung. Für ihr nächstes Karriere-Projekt basteln sie Knöpfe mit angeklebten Haaren. Und zwar spielt es darauf an, dass Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Prinzip nicht männlich genug auftreten, wenn sie um ihr Gehalt verhandeln. Und wir haben uns gedacht, dass wir anhand dieser Haarknöpfe Brusthaare simulieren, so ein bisschen Testosteronausdruck, Männlichkeit.

Wenzel: Also der Vorteil gegenüber natürlich gewachsener Brustbehaarung ist, dass man das dann wieder abnehmen kann.

Das Berliner Künstler-Duo fühlt sich von der zumeist positiven Reaktion der Passanten - natürlich - gebauchpinselt. Auch wenn einige die Streichelmaschine nicht mit Arbeitsplatz, sondern eher mit Schlafzimmer in Verbindung bringen.

Passantin: Das kitzelt! Na ja, dann macht mal weiter mit euerm Sex!

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André Hagel in: mittendrin, Oktober 2007

Wenn der Pinsel pinseln will, dann will er pinseln

Wir alle bauchpinseln. Der Begriff des Bauchpinselns selbst allerdings ist aus der Mode gekommen Zwei Künstlerinnen wollen Abhilfe schaffen: Sie haben eine Bauchpinselmaschine entwickelt und in der Region zum Einsatz gebracht."mittendrin" hat mitgepinselt.
Wenn man etwas erreichen will, muss man etwas dafür tun. das ist das leistungsprinzip. Wenn man bei jemandem etwas erreichen will, dann reicht Leistung mitunter nicht aus. Dann muss man demjenigen den Bauch pinseln. Verbal natürlich nur. Weil man bei tötlich-forschem Vorgehen in Sachen Bauchpinselei wahrscheinlich genau das Gegenteil von dem erreichen würde, was man eigentlich im Sinn hatte. Wer lässt schon gern andere an den Nabel, der zwar nicht der der Welt, aber immerhin der eigene ist?

Wir alle bauchpinseln. Der eine mehr, der andere seltener. Der eine zweckfrei, einfach aus Freundlichkeit, der andere höchst zweckgebunden. Weil ermit dem virtuellen Pinsel sein berufliches Weiterkommen vorantreiben will, zum Beispiel. Wenn man Käthe Wenzel und Lisa Glauer glauben will, dann er- und durchleben wir momentan ein neues zeitalter der allgegenwärtigen Bauchpinselei - ohne dass allerdings dieser altehrwürdige Begriff noch entsprechend en vogue würe.
"Immer mehr Menschen sind gezwungen, als Freiberufler zu arbeiten. Viele sind arbeitslos, suchen einen neuen Job. Arbeitsplätze sind nicht mehr sicher. Da sind viele Menschen gezwungen, andere bauchzupinseln," erklären die beiden Künstlerinnen, die zu den diesjährigen Projektstipendiatinnen des Kunsthauses Kloster Gravenhorst in Hörstel gehören. Sie wissen, wovon sie reden: Sowohl Glauer als auch Wenzel arbeiten freiberuflich in ihrem Metier, müssen immer neue Auftraggeber und damit Einkommensquellen finden. Weil auch in der Kunst am Ende eben alles am Gelde hängt. voller Magen studiert nicht gern - aber leerer Magen kann erst recht nichts shcaffen, was anderen gefällt.

Die 34-jährige Wenzel und ihre vier jahre ältere Künstlerkollegin Glauer sind nicht beim Lamento stehen geblieben, sondern haben aus der Not eine Erfindung gemacht. Die steht an einem Fraitagmorgen Anfang August auf dem Tisch in einem Arbeitsraum des Kunsthauses Kloster Gravenhorst und surrt munter vor sich hin: eine Bauchpinselmaschine, die einem tatkräftig die Arbeit des Pinselns im Nabelbereich von Mitmenschen abnimmt. Auf den ersten Blick erinnert das Gerät an zwei aufeinandergeklebte Nierenschalen. Seitlich ragt aus dem Konstrukt ein Pinsel, der rotierend von rechts nach links und zurück, immer wieder hin und her schwenkt. Der Pinsel ist weich. Da möchte man doch glatt...

Aber noch ist nicht die Zeit für Experimente am eigenen Körper. An diesem Tag steht vielmehr eine Dienstbesprechung an. Das Berliner Künstlerinnen-Duo unterweist zwei Helfer ind er korrekten Handhabung der Gerätschaft, die in Aktion beim Gegenüber Wohlfühlgefühle hervorrufen soll. Außerdem gibt es noch eine Menge anderer Dinge zu klären. Denn Wenzel und Glauer wollen zusammen mit Christine Oehler und Klaus Steltenkamp, zwei Ein-Euro-Jobbern, und der Bauchpinselmaschine durch die region reisen, um die gute alte Tradition des Bauchpinselns auch unter ebendiesem Namen wieder populär zu machen. Tatsächlich, das werden später ihre Einsätze in der Öffentlichkeit zeigen, ist der Begriff des Bauchpinselns nahezu aus unserem Sprachgebrauch verschwunden. Gängigere Systeme sind "jemandem honig ums Maul schmieren" oder - rumschleimen. Das maschinenbewehrte Quartett hat neben einem Kreditinstitut, dem Ibbenbürener Klinikum und dem Kreistag in Steinfurt auch die Wochenmärkte in Ibbenbüren und Hörstel als mögliche Einsatzorte auf den Plan gesetzt. der Bauchpinsel soll rotieren, wo es etwas - und jemanden - zu bauchpinseln gibt.

"Okay, du übernimmst dann die Dokumentation der Aktionmit der Videokamera," sprechen sich Käthe Wenzel und Lisa Glauer mit dem 54-jährigen Klaus Steltenkamp ab. der derzeit arbeitslose EDV-Kaufmann, der in Hartz IV gelandet ist und von der Arbeitsförderungseinrichtung "Gemeinsam für Arbeit und Beschäftigung im Kreis Steinfurt" (GAB) an die beiden überwiesen wurde, wird neben dem Filmen die Aufgabe haben, die Webseite des Aktivistenquartetts zu pflegen.

Enen Monat später. Die Menschen auf dem Hörsteler Wochenmarkt ducken sich an diesem Donnerstagmorgen unter dem Gallerregen, der unmissverständlich klar macht, dass für eine Besserung der Lage nur das Bauchpinseln beim göttlich bestellten Wettermacher sorgen könnte. Der Draht aber kommt an diesem Tag nicht zustande. Stattdessen macht sich die gruppe samt Maschine nach einer Lagebesprechung in einem Café daran, Hörstler Bäuche zu pinseln. Einen tag zuvor, auf dem Markt in Ibbenbüren, ist das noch einfacher gewesen. Das Wetter spielte mit. So mancher Passant entblößte bereitwillig seinen Nabel, ließ sich am eigenen Körper den Hintergrund der Kunstaktion erklären.

"Gerade bei uns Ehrenamtlichen ist ein bisschen Lob und Bauchpinselei angebracht," hat etwa eine Frau an einem Infostand der SPD sich über den Besuch des Pinselquartetts gefreut. Der Vorsitzende ihrer partei hat gerade medienwirksam in den Büschen sitzende und aus ihnen feuernde Genossen abgemeiert: "Ich lasse mir diesen Scheiß nicht länger bieten!", soll Kurt Beck in einer Fraktionssitzung gezürnt haben, woran er sich selbst gar nicht mehr so konkret erinnern kann. Wäre beck an diesem Donnerstagmorgen zufällig in Hörstel unterwegs, er müsste in seinem Buddha-Bauch nicht mehr länger die Sorgen der Welt tragen, sondern könnte sich mal so richtig und ausgiebig pinseln lassen. Dann wird's auch was mit der Partei, vielleicht. Aber auch ohne den Obersten der Genossen kommen Lisa Glauer, Käthe Wenzel, Christine Oehler und Klaus Steltenkamp auf dem Hörsteler markt schließlich zum Zuge. Am nabel einer jungen Frau verrichtet der rotierende Pinsel sein wohltuendes Werk, nachdem die Passantin zunächst zu verschiedenen Aspekten des bauchpnselns befragt worden ist.

"Wann haben Sie das letzte Mal gebauchpinselt?", will Christine Oehler wissen. Eine ältere Frau kommt darüber hinzu, bleibt stehen, und ja, bauchpinselwillig ist sie auch. Nur Klaus Stltenkamps Kamera macht sie noch etwas nervös. Doch am Ende siegtdie Verlockung des Ungewohnten. Denn wir alle bauchpinseln zwar, werden aber eben doch viel zu selten gebauchpinselt.

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Susanne Nessler, Deutschlandradio Kultur, 28.07.2005, 15:10.

Zwischen Kunst und Wissenschaft.

Während sich Schriftsteller immer wieder mit wissenschaftlichen und medizinischen Themen auseinandersetzen, scheint es zwischen Kunst und Wissenschaft kaum Berührungspunkte zu geben. Das Projekt "missing link" will nun den Austausch intensivieren und zeigt, wie Künstler medizinische Themen in ihre Arbeit einbringen und wie Wissenschaftler künstlerisch tütig werden können. Knochen für Knochen reihen sich Flügel- und Schenkelstücke abgenagter Hähnchen zu einer Korsage. Ein Gerippe aus Stoff und tierischem Material. Ein Kleid aus Geflügelknochen. Daneben hängen riesige, tiefrot gefärbte Nervenzellen an der Wand, es folgen Aktportraits, bunte Computermodelle von Eiweißmolekülen. Ein paar Schritte weiter gibt es Muttermilch in Tetrapacks und die Häutung eines Kaninchens als Videoclip zu sehen.

Eine Ausstellung über, mit und um das Thema Körper. Das Resultat einer einjährigen Zusammenarbeit zwischen Biomedizinern und Künstlern. Organisiert von der Charité und der Universität der Künste in Berlin. Wolfgang Knapp:
"Die Frage war, welche Art von Blick die Biomedizin in der Forschung - gestützt durch Bild gebende Verfahren und technisches Gerät - hat. Und welchen Blick auf den Körper Künstler und Künstlerinnen haben."

Mediziner haben versucht ihre Arbeit künstlerisch zu betrachten und Künstler haben den Blickwinkel eines Arztes eingenommen. Ein gemeinsamer Versuch zu begreifen, was ein Bild vom Körper alles bedeuten kann. Ingo Bechmann, Arzt an der Charité hat zum Beispiel die riesigen roten Nervenzellen an die Wand gehängt. Er fand die Aufnahmen schon beim Betrachten durch das Mikroskop wunderschön. Aber erst die Zusammenarbeit mit einem der Künstler, der regelmäßig in seinen Anatomiekurs kam, führte dazu, dass Ingo Bechmann die winzig kleinen Nervenzellen auf eine zwei mal zwei Meter große Fläche drucken ließ.
Bechmann: "Bei uns ist das eine alltägliche Erfahrung, dass du irgendetwas gesehen hast unter dem Mikroskop und du guckst ein Jahr später drauf und siehst mehr oder etwas anderes, und du guckst zehn Jahre später drauf und siehst mehr und etwas anders und hast mehr verstanden, und das ist dann natürlich wunderbar, wenn man einen Maler hat, weil wir die Vorstellung haben, der kann doch bestimmt noch viel mehr gucken und der beweist das auch, denn wir versuchen auch zu zeichnen, aber so hätte ich das nie hingekriegt."

Früher vor 100 Jahren gehörte das Zusammentreffen von Arzt und Maler zum Programm der meisten Hochschulen. Mediziner brauchten Künstler, die ihnen exakte Bilder und Zeichnungen für ihre Lehrbücher lieferten und Künstler brauchten die Ärzte, damit sie ihnen einen Blick unter die Haut in den Aufbau des Körpers gewährten.
Heute operieren beiden Gruppen mit zahlreichen Bildern, unabhängig voneinander - und zwar immer detaillierte und spezifischer. Computertomographien, Endoskope und hoch auflösende Mikroskope liefern exakte Teilaufnahmen vom menschlichen Körper. Was dabei aber fehlt, ist quasi das Bild vom Menschen selbst, von seinem Körper als Gesamtheit, sagt Wolfgang Knapp vom Fachbereich Kunst im Kontext, der Berliner Universität der Künste:
"Und wenn man die Unterschiede und die Differenzen sichtbar macht, dann gibt man auch dem interessierten Laien die Möglichkeit, sich dieser Komplexität anzunähern und selber weiter zu fragen, ohne nach diesem schnellen Anwendungshungerprinzip zu reagieren, habe ich nicht verstanden kann nicht sein."

Überraschend für den Betrachter ist, dass die Ausstellungsobjekte der Künstler realer und begreifbarer erscheinen, als die Bilder aus der Forschung. Muttermilch in Tetrapacks stellt einen sehr viel deutlicheren und direkteren Bezug zum Thema Körper her, als es die wissenschaftliche Darstellung von Proteinmolekülen in einer Computeranimation schafft. Der Grund dafür ist, dass in der medizinischen Praxis einfach Vieles ausgeblendet wird, sagt der Künstler Frank Schöpel:
"Mir ist sehr stark aufgefallen, dass auf Funktionen sehr stark geguckt wurde, also wichtig waren eben die Dinge des Körpers, die eine Funktion hatten, die zu Muskelanspannung führen konnten und Körperteile bewegen konnten oder die eine Leitung waren. Und da gab es aber auch andere Sachen, die visuell genauso da waren, die aber weggenommen wurden, weil sie eben nicht diese Wichtigkeit hatten."

Der Arzt sucht nach der genaue Diagnose, der Künstler will ihre Auswirkung begreifen. In der Gegenüberstellung von Kunst und Medizin werden die unterschiedlichen Blickwinkel und Arbeitsweisen deutlich. Und ebenso die Gemeinsamkeiten. Denn beide Gruppen stehen immer wieder vor derselben Frage: Was sagt ein Bild über den Menschen?
Zwischen großen Kühlschränken mit Zellmaterial in Reagenzgläsern, quietschrosafarbenen Wachsreliefs, Hühnerknochen, roten Nervenzellen und Aktportraits findet man dazu viele Antworten und noch viel mehr Fragen...

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berlin art info Nr.43 07/2005. S.26-27.

Missing Link - Wie schön sehen 182 Tage einer Labormaus aus?

Ein Sommer, ein Landsitz in Brandenburg und eine Gruppe Künstler und Biomediziner. Ein experiment. "Gibt es eine Kooperationsbasis zwischen Kunst und Wissenschaft, oder ist unsere Gesellschaft zu spezialisiert, um Gemeinsamkeiten zuzulassen? Unterscheiden sich kreative Prozesse im künstlerischen und wissenschaftlichen Feld?" Dies sollte die Fachtagung, initiiert von Professor Cornelius Frömmel (Charité)und Wolfgang Knapp (UdK), beantworten. Entstanden ist die Ausstellung "missing link - public understanding of art and sciences", in der Malerei, Objekte, Installationen und Videos der Künstler den Forschungsbeispielen und Arbeitsproben der Mediziner gegenüberstehen. Beide Fraktionen betreiben ein Spiel mit Ambivalenzen, zeigen Gewohntes in ungewohnter Weise und umgekehrt.

Besonders reizvoll wird diese Konfrontation, wenn sich die Exponate nicht sofort und eindeutig einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Herkunft zuordnen lassen. So sieht z.B. der 182 Tage lang von Achim Kramer aufgezeichnete traurig-gleichförmige Rhythmus einer armen Labormaus als Grafik dargestellt geradezu interessant aus. Die Geopoesie von Martin Juef hat auf den ersten Blick etwas von einer Seite eines Erdkunde-Schulbuchs. Erstaunlich ist immer wieder, wie gering der Unterschied zwischen sichtbar gemachten Vorgängen in der Natur und künstlerischen Arbeiten sein kann, z.B. der fakt, dass diese Unterschiede zuweieln gar nicht existieren. Wie kann man sich z.B. eine "Entorhino-hippocampale Projektion einer Ratte visualisiert durch stereotaktische Injektion eines axonal transportierten Fluoreszenzfarbstoffes" 200fach vergrößert vorstellen? Die Antwort: groß, rot, abstrakt und wunderschön.

Anderes sieht zugegebenermaßen so langweilig aus, wie es trocken klingt. Hinter "Pex19-Bindestellen in den peroxisomalen Membranproteinen..." verbergen sich altbekannte und eher unspannende Diagramme. Blickfang im Raum sind ohne Zweifel die liegenden Menschen, die Frank Schöpel in fluchtpunktloser Perspektive und lebensgroß auf weißes Holz gemalt hat. So genau und lebendig, dass man meint, ihr Atmen und Augenblinzeln hören zu können. Andreas Wendts 9-teilige Aquarellserie "Aktion Vril", inspiriert von Thor Kunkels Buch "Endstufe", erfordert hingegen etwas genauere Betrachtung für die Feinheiten im Bild und den Hintersinn seiner Arbeit: "Die Absurdität des menschlichen Tuns bildet in diesem Fall eine ästhetische Schablone für das emblematische Scheitern einer Idee."

Wer schließlich bei Tara Parsons "Dental Records" - einer Installation aus Zahnseidebehältern, aus denen sich Röntgenfotos von Zähnen in dünnen Streifen herauswinden - mehr Lust auf Röntgenfotos bekommen hat, kann sich einen Stockwerk tiefer Torsten Seidels ins überdimensionale vergrößerte Röntgenporträts von den Schädeln sowjetischer Soldaten ansehen. Für ein bisschen Gruseln im Bauch.

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Ingeborg Ruthe in: Berliner Zeitung, 18. Juni 2002

Täschend lebensecht

"Wächserne Identitäten" aus dem späten 20. Jahrhundert im Georg-Kolbe-Museum Berlin verbreiten vor allem die Melancholie der Vergänglichkeit

Es gibt noch überraschendes im Berliner Ausstellungswesen: Das Georg-Kolbe-Museum, in seinen bisherigen Skulpturenausstellungen stark dem Traditionellen verpflichtet, zeigt nun junge Kunst, die mit großen Gefühlen spielt - mit Ergriffenheit und Trauer, mit Schock und Ekel. Mehrfach ist es einfach ein wortkarger Bildwitz, der Bände spricht. Dabei ist diese Ausstellung von Wachsskulpturen keine Provokation. Auch wenn manche Arbeit zunächst zynisch wirken mag, entpuppt sie sich bald als melancholisch. Wachs ist eben ein vergänglicher Stoff, wie der menschliche Körper auch.

Schon in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett, das vor 200 Jahren in London und dann in Paris gegründet wurde, waren Helden zu sehen, Märtyrer der Französischen Revolution. "Lebensecht" in Wachs nachgebildet, sollten sie dem Publikum nahe gebracht werden. Dieses reagierte zuerst geschockt, dann fasziniert. "Lebensecht" hat im Kolbe-Museum auch der Londoner Bildhauer Gavin Turk den kubanischen Superhelden Che Guevara hinter Glas wieder auferstehen lassen, machohaft-aggressiv, pistolenbewehrt, das Barett mit dem Stern kühn in die Stirn gezogen - ein heroischer Guerillero mit stahlharter Miene und visionärem Blick.

Der geklonte Che steht uns als popkulturelles Abziehbild gegenüber. Die Pose hat Turk, das ist nicht zu übersehen, von Warhols berühmtem fotografieartigen Siebdruck kopiert, der den schießbereiten Elvis Presley zeigt. Gerade Turks Che-Plastik verkörpert vordergründig, worum es den 30 internationalen Künstlern in der Berliner Ausstellung "Wächserne Identitäten" geht: um Doppelgänger und Wiedergänger, letztlich um monströse Metamorphosen des K%ouml;rpers.

Wachs lässt sich widerstandlos formen, es lässt sich zum Gießen, zum Modellieren, zu Bossieren einsetzen. Wegen seiner glänzenden, immer ein wenig feucht wirkenden Oberfläche kann Wachs die Beschaffenheit menschlicher oder tierischer Haut ideal imitieren. Gerade das wussten Bildhauer und Objektartisten zu schätzen, die im 20. Jahrhundert ihre Obsession für den Körper wieder entdeckten. Unmengen von Wachs verarbeiteten in den Sechzigern schon die Arte-Povera-Pioniere, ein Jahrzehnt später die Pop-Artisten. In ihren Nachbildungen wurde das Memoriale l&auiml;cherlich und das Monströse trivial. Junge Künstler wie der Brite Gavin Turk folgen dieser konzeptuellen Linie heute mit ihren Mitteln.

In der Antike allerdings hatte das Wachsbild niemals ironisierende oder gar kulturkritische Funktion: Es diente dem Totenkult. Plinius berichtet in seiner "Naturalis Historiae" von "imagines"; er beschreibt ausführlich bienenwächserne Bildnisbüsten, die aus Totenmasken entstanden. Sie hatten mystische Funktion: mit einem lebensechten Abbild sollte die irdische Abwesenheit des Verstorbenen kompensiert werden. So würde er über Generationen in Erinnerung bleiben. Auch die alten Römer kannten Bienenwachsmasken, die den Verstorbenen aufgelegt wurden, um die Verwesung zu kaschieren oder die Toten vor Geistern zu schätzen.

Diesen antiken "imagines" kommen im Kolbe-Museum die Plastiken des israelischen Bildhauers Gil Shachar am nächsten. Bei ihrem Anblick wird klar, warum es schon immer die auf Augentäuschung beruhende Mimesis war, aus der Wachsfiguren seit Jahrtausenden ihre eigentümlich magische Anziehungskraft beziehen. Shachars Bildnisbüste "Herrmann" hat einen ausgeprägt autistischen Zug. Die geschlossenen Augen der Wachsfigur verstärken das Rätselhafte. Mit dieser kopierenden Simulation eines Menschenbildes verweist der Bildhauer zugleich auf ein Dilemma hyperrealistischer Kunst: Mit dem Abbild entsteht ein Phantom, es irrt umher zwischen dem Reich der Lebenden und der Toten.

Im Christentum gilt Wachs seit dem Mittelalter als Stoff, der den Leib Christi symbolisieren konnte. Votivgaben sind häufig aus Wachs geformt, man fertigte Bitt- oder Dankopfer - vor allem jene Körperteile, für die man sich im Gebet Heilung oder zumindest Linderung der Schmerzen erhoffte. In der Renaissance wurde der gefügige Stoff mit Vorliebe für die Porträtplastik verwendet. Diese Tradition persiflierend, stellt der Österreicher Thomas Sturm sich in der Ausstellung zweimal selbst mit geschlossenen Augen dar, einmal in barocker Herrscherpose, mit naturalistisch farbigen Gesichtspartien um Auge, Nase und Mund, womit er bewusst die ernste Klassizität der Formgebung untergräbt. Im zweiten Selbstbildnis hingegen haben Kopf, Hals und Oberkörper das feierliche Wachsgelb von Kirchenkerzen. Der Verfremdungseffekt ist frappierend, die Verdoppelung lässt einen schaudern: Wir leben schließlich in einer Zeit, in der das Klonen wissenschaftlich und technisch möglich geworden ist.

Das "Selbstporträt" des New Yorkers Paul Thek gehört zu einer Serie lebensgroßer menschlicher Gliedmaßen aus bemaltem Wachs. Diese "Reliquien" unter Plexiglashauben - gleichsam konservierte Zeugnisse der Vergänglichkeit des Körpers - verstören unmittelbar. Eine Entsprechung dazu sind die weißen "Köpfe mit Mundsperrer" des Schweizers Anselmo Fox. Auf surrealistische Weise erinnert er daran, dass nicht zuletzt für die Medizin noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Figuren und Modelle aus Wachs zur Ausbildung gehörten. Keine Prothese, deren Konstruktion nicht zuvor einem Wachsmodell angepasst wurde, keine dritten Zähne, die nicht zuerst im Wachskiefer Probe gesteckt hatten.

Die gruseligste Plastik der Ausstellung stammt von dem Londoner Künstler John Isaac. Der Anblick einer brutal sezierten Wachs-"Leiche" mit viel echt wirkendem Kunstblut ist eine Anatomiestunde, die sich auf Hogarths Kupferstich "Lohn der Grausamkeit" (1751) bezieht. Auf dessen Blatt ist dargestellt, wie ein toter Mörders seziert wird. Sogar nach dem Tod muss der Verbrecher für seine grausame Tat büßen.

Wolfgang Stiller aus New York verzahnt in seiner Plastik "Twins", in der er zwei naturalistische Babyköpfe aus einer Schüssel wachsen lässt, das Mysterium der Zeugung von Leben mit dem des Todes und der Wiedergeburt. Damit liefert der Künstler einen sehr persönlichen Kommentar zum Diskurs um eine fragwürdig gewordene Identität im Zeitalter der Präimplantationsdiagnostik und zu den aktuellen bioethischen Debatten.

Ganz anders, nämlich lakonisch und ironisch, geht Käthe Wenzel aus Berlin das Thema an. Sie formte "Survival Kit für das nächste Jahrhundert". Ein Ersatzteilkoffer mit wächsernen Händen, Ohren, Brüsten - und einem Schweineherzen. Alle "Ersatzteile" hat sie mit chinesischen Schriftzeichen versehen, aber einen Sinologen gibt es im Kolbe-Museum nicht. Die Gebrauchsanweisung zur Selbsttransplantation ist für unsereins untauglich.

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Jessica Ullrich (Hg.): Wächserne Identitäten. Figürliche Wachsplastik am Ende des 20. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung im Kolbe-Museum. Berlin 2002. S. 62-63.

Käthe Wenzel

Käthe Wenzel benutzt Wachs als Substitut für Fleisch, womit sie sich auf eine lange Tradition in der Kunst- und Kulturgeschichte stützen kann. Ihr Motiv ist der menschliche Körper als Fragment. Das Körperfragment steht der Vorstellung von der Intaktheit und Integrität des Körpers entgegen, unterstreicht seine Verletzlichkeit und impliziert physische Gewalt, Unterdrückung und den Verlust einer einstmals imaginierten Einheit. Wenn Menschen als bloße Fragmente dargestellt werden, können sie als ihrer Identität beraubt und dadurch entmachtet erscheinen. Außerdem spiegelt sich in Darstellungen von bruchstückhaften Körpern die Erkenntnis wider, dass heute keine gültigen Ideen eines „authentischen" Körpers mehr darstellbar sind.

In ihrer Gleichförmigkeit erinnert beispielsweise eine Serie von wächsernen Füßen nicht nur an die modernen Körperkopierversuche der Gentechnologie, sondern auch daran, dass Wachs traditionell als Kopiermedium gilt. Serielle Herstellung und liebevolle Handarbeit sind in Wenzels Abgussarbeiten ebenso vereint wie enzyklopädisch aufgearbeitete Naturwissenschaft und pseudoreligiöser Souvenirkitsch. Die Verfremdungen, die durch Einfärbung des naturalistisch abgegossenen Wachses entstehen, machen auf den Abstand zwischen Original und Kopie aufmerksam.

Wenzels tragbarer „Ersatzteilkoffer" mit jederzeit verfügbaren, austauschbaren Brüsten, Ohren, Händen und Herzen spielt weniger auf Duchamps „La Boûte en Valise" an als auf Auswüchse des heutigen Körperkultes und die fragwü,rdigen Errungenschaften moderner Schönheitschirurgie und Prothesenmedizin. Die Illusion, man könne Körperteile nach Bedarf einfach austauschen, wird mit der beigelieferten, unbrauchbaren, da chinesischen, Gebrauchsanweisung Lügen gestraft. Dass die inneren Organe aus Abgüssen tierischer Körperteile entstanden sind, ist nur folgerichtig: Wird doch schon lange das Schweineherz menschlichen Patienten transplantiert. Das Fleisch ist eine Kategorie, die alles Lebendige teilt. Der Körper wird in Käthe Wenzels Wachsobjekten auf drastische Weise auf seine vergänglichen Elemente reduziert – allerdings nicht ohne die Frage nach etwas Dauerhaftem zu stellen, das über die fleischliche Existenz hinausweist. Es ist denn auch der schmale Grat zwischen lebendem und totem Fleisch, der Wenzel interessiert. So möchte sie ihre wächsernen Fleischstücke auch als künstlerische Kommentare zur Materialismus-Idealismus-Debatte verstanden wissen. Einem naturalistischen wächsernen Lammrücken, den sie mit Federn ausstattet, gibt sie den Titel „Himmelfahrt", um Vorstellungen über die Auferstehung des Leibes zu hinterfragen. Ebenso wie Paul Theks Arbeiten, in deren Nachfolge Wenzels Fleischstücke zu lesen sind, erinnern solche Objekte an aufwändig verzierte religiöse Opfer wie auch an Reliquien.

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Marieke Brandt, Rede zur Eröffnung der Ausstellung am 8. Juni 2000.

"Absolut tragbar - Survival-Kits für das 21. Jahrhundert"

Diese Objekte tragen den Namen "Survival-Kits". Dazu muss erstmal festgestellt werden, dass diese Objekte - wie alle Objekte, schlimmer noch als Subjekte - irgendwie verdächtig sind. Sie sind hochgradig nervös, ständig in Bewegung, flüchtig. Sie werfen sich Namen über wie Tarnmäntel: Reisealtar, oder Bibliothek von Alexandria, Fluchtversion. Sie heißen Le Grand Bleu oder behaupten, ein katholisches Fluchtgepäck zu sein.

Diese Objekte sind ein Prêt-á-Porter der Panikkultur. Sie erzählen davon, wie in unberechenbaren Zeiten Fluchtgepäck salonfähig wird. Doch kaum sind sie drin, im Salon, sind sie auch schon wieder weg. Darin sind sie wie die Transsibirische Eisenbahn: kaum ist da Sibirien, schon sind sie hindurch und irgendwo jenseits wie Transsilvanien, das jenseits, nämlich hinter den Wäldern liegt.
Hinterwäldlerisch sind sie deshalb nicht.
Nur etwas unheimlich.

Sie tauchen in ein bekanntes Medium ein, sagen wir, in die Fotografie oder Malerei, beleben es mit ihrem Charme, und verschwinden durch die Dunkelkammer. Zugleich vagabundieren sie im Grafischen und behaupten, bloß eine Zeichnung zu sein. Sie wildern in der Literatur und nomadisieren durch die ganze Weltgeschichte, mindestens jedoch durch das Zeitalter der Aufklärung 1-3.
Aufklären tun sie aber gar nichts. Eher verwischen sie alle Spuren. Anhaltspunkte kommen gar nicht vor. Sie sind einfach nicht zu fassen. Das heißt, diesseitig sind sie gar nicht fassbar. Sie sind zugleich dies und das, dies und jenes, und zwar hier wie dort.
Wir ahnen, hier muss eine hochprozentige Mischung aus Zufall und Kalkül im Spiel sein. In diesem Sinne kann es mir jetzt nicht darum gehen, Klarheit zu schaffen. Vielmehr geht es darum, größtmögliche Verwirrung zu stiften. Hier steht Fluchtgepäck bereit. Wer flieht hier? Und wohin? Wovor? Niemand weiß es. Die Objekte verraten es uns nicht. Aber sie geben dem Unberechenbaren etwas mit auf den Weg.

Dies ist eine ausgesprochen nomadische Ausstellung. Sie ist ein Symposion zum Thema "Absolut überlebensnotwendig". Hier stehen Koffer, gepackt mit dem Allerüberlebensnotwendigsten. Wer braucht schon Zahnbürsten, wenn er einen Reisealtar haben kann?
Und was die Reiseziele und Zufluchtsorte angeht, so erübrigt sich auch das von selbst. Nomaden kommen nie wirklich irgendwo an.

Warum sollten sie auch? Schließlich sind sie ja Nomaden.

Darüber sollten wir nachdenken. Aber nicht hier.

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